Aphorismen und Miszellen. 161 bis 175.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
Themenbereiche
161. Die Herrscher glauben, um zu regieren, müssen sie außer dem Volke stehen, weil dieses der Punkt des Archimedes sei. Dieses ist wahr, solange die Völker nur feste Körper bilden. Sind sie aber einmal flüssig geworden, dann nützt der Hebel nicht mehr, da kann man nur chemisch auf sie einwirken, und man muß sich mit ihnen vermischen.

162. Die französische Revolution wird nach und nach in alle europäischen Sprachen übersetzt werden, und es ist nicht ratsam, dieses zu verhindern. Man nötigte hierdurch alle Welt, französisch zu lernen, um das Original zu verstehen. Die Fehler des Originals aber könnten in der Übersetzung verbessert werden.

163. Beim Beginnen einer Unternehmung und unweit des Zieles ist die Gefahr des Mißlingens am größten. Wenn Schiffe scheitern, so geschieht es nahe am Ufer.

164. Schädliche Ideen werden oft nur durch Mitteilung unschädlich gemacht. Mancher Gedanke und manches Gefühl, in der Hirnschale und der engen dunkeln Brust eines Menschen sich entzündend, haben Zerstörung um sich her verbreitet und würden, hätten sie bei Tage und frei sich entladen dürfen, gefahrlos und lächerlich verpufft sein.

165. Mündliche Verleumdung ist das Geschoß aus einer Windbüchse: man sieht das Schlachtopfer fallen, doch der Täter der geräuschlosen Tat bleibt unentdeckt. Gedruckte Übelrede ist die Kugel eines Pulvergewehres, wobei Knall und Licht den Mörder verraten und der Strafe überliefern.

166. Ihr Lehrer der Wahrheit, laßt euch nicht abschrecken, wenn die Zensur nach den Grundsätzen einer pharaonischen Polizei die neugebornen Kinder eures ihr allzu fruchtbar dünkenden Geistes umbringen läßt. Einst wird doch einmal irgend ein fürstliches Herz sich eines ausgesetzten Mosesgedanken erbarmen, ihn aufnehmen, erziehen, bilden – und dieser wird der Befreier seines Volkes.

167. Die Freiheiten, die man zu Zeiten dem Volke gestattete, sollten nichts als eine Probe sein, obwohl die Ketten noch gut anliegen. So geschieht es, daß man eine schon verschlossene Tür wieder öffnet, um zu sehen, ob sie recht verschlossen war.

168. Man betrachte die Geschichte der Vergangenheit nicht als ein düsteres memento mori, sondern als ein freundliches Vergißmeinnicht, dessen Lehre man sich mit Liebe erinnern soll.

169. Die Zufälle, als sinnentstellende Druckfehler im Geschichtsbuche der Menschheit, werden zwar wie in den andern Büchern hinter dem Werke verzeichnet; aber sie können nicht wie in jenen auch verbessert werden.

170. Bei der Versammlung der Notabeln, die zu Paris im Jahre 1613 während der Minderjährigkeit Ludwig XIII. und der Regentschaft der Maria von Medicis gehalten worden, hatten sich die Deputierten durch ein dreitägiges Fasten zu ihren Arbeiten vorbereitet. Herrliche Sitte, die wieder eingeführt zu werden verdiente! Ich mache alle Minister darauf achtsam, es wäre ein unfehlbares Mittel, die Murrköpfe von ihrer Ständesucht zu heilen.

171. Es gibt politische Schriftsteller in Deutschland, denen es weder an Freimütigkeit, noch an Einsicht, noch an Kraft der Rede gebricht, und dennoch bewirken sie nicht, was sie sich vorbedacht und was zu wünschen wäre. Sie erreichen es darum nicht, weil sie, ängstlich, mißverstanden zu werden, unverständlich sind. Denn sie ahnden es nicht, wie ausgebreitet unter dem deutschen Volke der klare Sinn der rechtlichen Freiheit sei. Jene Schriftsteller machen es wie gemeine Leute, wenn sie mit Franzosen sprechen, die ihre eigene Muttersprache ausländisch radebrechen, weil sie glauben, sich so deutlicher zu machen.

172. Wenn eine Schrift ausgezeichnete neue Ideen enthält, deren Verbreitung aber bei den obwaltenden Verhältnissen bedenklich gefunden würde, so möge der Druck derselben zwar von der Zensur verboten werden, aber die Regierung sollte das Werk gegen eine Belohnung des Verfassers an sich bringen, um entweder die darin enthaltenen Lehren sogleich im stillen zu benutzen oder um die Schrift aufzubewahren bis die Zeit kommt, wo die Bekanntmachung derselben zum allgemeinen Besten ersprießlich wird. Hierdurch würde die gefährlichste Folge des Preßdruckes, nämlich die Beschränkung des menschlichen Geistes und der Kindermord der Ideen vermieden werden. Von solchen dem Umlaufe entzogenen Werken bilde sich der Staat ein Ideenmagazin, das in Zeiten einer geistigen Hungersnot Rettung bringe.

173. Es ist eine lächerliche Unbesonnenheit, daß die Anwalte der Aristokratie es bei jeder Gelegenheit mit Geräusch bemerklich machen: der Friede in Europa würde der verbrecherischen Hoffnung der Liberalen zum Trotze erhalten werden; die verbündeten Mächte wüßten recht gut, daß nur ihre Einigkeit die Revolutionäre niederhalten könne. Also hätte doch die drohende Stellung der Völker den großen Nutzen, der Welt den Frieden zu sichern. Aber sind solche Geständnisse nicht deutliche Winke, jene drohende Stellung ja nicht aufzugeben?

174. Die Verteidiger der Aristokratie sagen: die Natur selbst begünstigte die Ungleichheit unter den Menschen. Das ist wahr; aber weil die Natur sie begünstigt, muß die Kunst ihr entgegenarbeiten. Weil das Glück, der Geist, der Mut, die Klugheit einen Menschen über den anderen erhebt, muß das Gesetz die Gleichheit wieder herzustellen suchen, muß es dafür sorgen, daß die Bewegung mit dem Stoße aufhöre, daß der Lohn mit dem Verdienste endige. Die Laune der Natur darf nicht zum Gesetze, ihre freie Wahl darf nicht zur Notwendigkeit werden; das Glück soll nicht erblich sein.

175. Caligula hatte seine Gesetze hoch aufhängen lassen, damit sie die Bürger nicht lesen können, damit sie sie übertreten und so in Strafe verfallen. Hätte Caligula hier und dort in Deutschland regiert, wäre diese seine Tücke ganz unnötig gewesen. Denn manche Verordnungen, im üblichen Kanzleistile abgefaßt, sind nicht allein unverständlich, sondern oft auch unleserlich, weil auf dem langen holperigen Wege die Augen den Atem verlieren, ehe sie zu einem Punktum kommen, und nachdem sie sich etwas ausgeruhet, seufzend wieder umkehren. Ein lustiges Beispiel, das hierher gehört: ein gewisser Beamter eines gewissen Staats, in einem gewissen Lande, das in einem gewissen Weltteile liegt (so lernt man endlich Bescheidenheit!) hatte vor einigen Jahren eine Verfügung erlassen, mit dem schnackischen Anfange: Da die den das (nämlich: Da die den das sechzigste Lebensjahr erreicht habenden Rat N.N. betroffen habende Augenkrankheit sich verschlimmert hat). Diese Sprachverschönerung erregte damals die Bewunderung des ganzen Landes. Es war vorauszusehen, daß mancher Geschäftsmann sich im stillen nach einem solchen Muster zu bilden versuchen würde, und die Erwartung ward nicht getäuscht. Vor wenigen Wochen kam wirklich ein Amtsbericht ein mit den Anfangsworten: Die des dem (nämlich: Die des dem Bärenwirt zugefügten Diebstahls verdächtigen Juden sind nunmehr in Polizeiarrest). Die Behörde aber, an die der Bericht eingesendet war, nahm das Ding übel auf und bedeutete dem Berichterstatter: es sei ebenso ungeeignet, dergleichen Muster nachzuahmen, als sie zu verspotten. Diesem blieb zu seiner Entschuldigung nichts anderes übrig, als der Wahrheit gemäß zu erklären: er habe gar nicht die Absicht gehabt, ironisch zu sein, sondern es sei ihm mit dem die des dem völliger Ernst gewesen.