Aphorismen und Miszellen. 101 bis 103.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
Themenbereiche
101. Als Voltaire sagte: Der erste König war ein glücklicher Soldat, da wußte dieser Mann nicht, was er sprach. Der erste König war ein fieberkranker Bauer, der in seinem Irrsinne ausrief: „Ihr Leute seid meine Untertanen und mir Gehorsam schuldig,“ und da er gesundete und von dem Schmerzenslager sich erhob, befremdet und ungläubig das ganze Dorf zu den Stollen seines Bettes niedergesunken fand. Vergebens war alles gutmütige Zureden des unschuldigen Despoten; die Untertänigkeit war schon so rasch im Gange, daß man der Zeiten sich nicht mehr erinnerte, da man frei gewesen.

102. Alle Aussprüche und Vollstreckungen einer geheimen Justiz, sind heimliche Hinrichtungen, mit welchen bürgerliche Freiheit gar nicht zu vereinen ist. Ob eine streitige Sache dem Hans oder dem Kunz verbleibe, ob ein einzelner Missetäter bestraft werde oder nicht, dieses ist dem Gemeinwesen sehr gleichgültig. Aber die Zuversicht, daß Recht geübt werde, ist Lebensbedürfnis in der bürgerlichen Gesellschaft, und diese Zuversicht versagt die heimliche Justiz. Kein Fürst, kein Richter, kein Verwalter darf Glauben fordern an seine Gerechtigkeit; nur an Gott glaubt man, die Menschen aber will man sehen, hören, betasten, ausrechnen.

103. Juden in der freien Stadt Frankfurt. – Europa und Amerika müssen ganz den Verstand verloren haben, daß sie sich seit Jahren mit den spanischen Kolonien, den Cortes, der französischen Deputiertenkammer, den englischen Radikalen und anderen dergleichen elenden, gesetzter Männer unwürdigen Klatschereien beschäftigen und die wichtigste Sache der Menschheit, nämlich die Frankfurter Judenschaft, darüber aus dem Sinne verlieren. Die Schwachköpfe beider Weltteile bilden sich ein, der Brand von Moskau, die Leipziger Schlacht, der Sturz Napoleons und die Millionen Menschen, welche der Befreiungskrieg hingerafft – alle diese schrecklichen Dinge wären zu ihrer Unterhaltung geschehen, und den großen Zweck, welchen die Vorsehung dabei hatte, nämlich die Vertreibung besagter Judenschaft von der Schnurgasse zu Frankfurt, davon ahnden sie nichts. Stein in seiner sehr genauen Geographie sagt, es wohnten 10000 Juden in Frankfurt, obzwar keine 4000 dort wohnen. Allein er sagt dieses metaphorisch, da sie soviel Lärm verursachen als 10000. Ehemals wohnten sie in einer eigenen Gasse, und dieser Fleck war bestimmt der bevölkertste auf der ganzen Erde, Malta nicht ausgenommen. Sie erfreuten sich der zärtlichsten Sorgfalt ihrer Regierung. Sonntags durften sie ihre Gasse nicht verlassen, damit sie von Betrunkenen keine Schläge bekämen. Vor dem 25. Jahre durften sie nicht heiraten, damit ihre Kinder stark und gesund würden. An Feiertagen durften sie erst um sechs Uhr abends zum Tore hinausgehen, daß die allzu große Sonnenhitze ihnen nicht schade. Die öffentlichen Spaziergänge außerhalb der Stadt waren ihnen untersagt, man nötigte sie, ins Feld zu wandern, um ihren Sinn für Landwirtschaft zu erwecken. Ging ein Jude über die Straße, und ein Christ rief ihm zu: Mach Mores Jud, so mußte er seinen Hut abziehen; durch diese höfliche Aufmerksamkeit sollte die Liebe zwischen beiden Religionsparteien befestigt werden. Mehrere Straßen der Stadt, die ein schlechtes unbequemes Pflaster hatten, durften sie niemals betreten. Der Handel mit Materialwaren war ihnen verboten. Bedienten durften sie nicht halten, denn dieses ist ein Verbrechen gegen die Grammatik, sondern nur Knechte, und als einst ein Aktuar im Taumel des Sonntags einem Juden das Wort Bedienter in den Reisepaß gesetzt hatte, und dieser bereits abgereist war, schickte ihm der regierende Bürgermeister einen Husaren nach, der ihn zurückholen mußte, worauf im Passe das Wort Bedienter ausgestrichen und dafür Knecht geschrieben wurde. Noch viele andere Vorrechte genossen die Frankfurter Juden und üben sie heute noch aus. Mehrere wichtige Plätze der Stadt, wie die Post, die neuen Kräme, die Börse halten sie militärisch besetzt, und es darf kein Christ ohne ihre Erlaubnis durchgehen. Es ist ihnen verstattet, jeden Fremden oder Einheimischen, der an ihren Warenläden vorübergeht, solange an den Kleidern festzuhalten, bis er ihnen etwas Beträchtliches abkauft. Sie dürfen ihre Toten in den ersten 24 Stunden beerdigen, die Christen müssen drei Tage damit warten. Letztere werden in das wöchentlich erscheinende Geburts- und Sterberegister nur dann hineingesetzt, wenn sie wirklich geboren werden oder sterben, die Juden hingegen sogar auch dann, wenn dieses nicht geschieht; denn es wird im Intelligenzblatte ausdrücklich bemerkt, von der israelitischen Gemeinde sei in dieser Woche niemand gestorben, niemand geboren worden, damit sich jederman erfreue, nämlich an ersterem.

Mit allen diesen Auszeichnungen noch nicht zufrieden, hatten die Juden vor zehn Jahren den Revolutionsschwindel, der sich von Frankreich her nach Deutschland verbreitet hatte, benutzt und sich unter der großherzoglichen Regierung die sogenannten angebornen Rechte für ein Spottgeld, für eine halbe Million, gekauft. Darauf maßten sie sich an, Doktoren, Schuhmacher und Schneider zu werden; sie trieben Wissenschaften und die ganze Technologie, sprachen deutsch wie Adelung und aßen mehrere Sorten Wurst. Besonders in Spedition und Kommission haben sie der Menschheit ungeheuern Schaden zugefügt und hierdurch Europa in die Barbarei des Mittelalters zurückgeworfen. Aber der Tag der Erlösung nahte herbei; nach der Schlacht bei Hanau erwachte die freie Stadt Frankfurt aus ihrem Siebenschlafe, und mit der neuen Ordnung der Dinge kehrten die Juden in die alte zurück; diese wollten aber nicht von der Stelle und klagten beim hohen Bundestage. Hierauf sollten die Christen und Juden sich gütlich vergleichen. Der Senat und der gesetzgebende Körper, beide von „übergroßer Freisinnigkeit“ erfüllt, machten billige Vorschläge.