Aphorismen und Miszellen. 041 bis 050.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
Themenbereiche
41. Herr von Hornthal hat in der bayerischen Kammer der Abgeordneten den Antrag gemacht, daß man die bestehenden strengen Verordnungen über die pflichtmäßige Verschwiegenheit der Beamten, als unvereinbar mit einer konstitutionellen Regierung, aufheben oder lindern möchte. Das ist ein Wort zu seiner Zeit, aber freilich nur ein Wort, und zu einer langen Rede wäre Stoff genug vorhanden. Wenn irgend eine Regierung geheimnisvoll verfährt, so ist dies das Traurigste nicht – das Traurigste wäre, wenn sie das Bedürfnis fühlte, so zu verfahren. Wenn bestehende und bekannte Gesetze in gegebenen Fällen nach voraus bestimmten Regeln angewendet werden, wozu täte dann Verschwiegenheit der Beamten not? Sollte man nicht vielmehr jede Gelegenheit benutzen, den Bürgern, die sich selten auf den theoretischen Wert der Gesetze verstehen, bei deren Ausübung zu zeigen, wie nützlich sie sind? Wozu jener Hokuspokus und aller sonstiger Schnickschnack, dem man in dem Treiben der Beamten so oft begegnet? Ernst soll der Gesetzgeber, streng der Richter, aber der Verwaltungsbeamte kann nicht heiter, nicht freundlich, nicht zutraulich, nicht offen genug sein. Man muß denjenigen Teil der Regierung, der heilkünstlerisch verfährt und die Schärfe des wundärztlichen Messers wie die Bitterkeit der Arzneien nicht erlassen kann, von demjenigen unterscheiden, der die Lebensordnung der Bürger regelt und sich nur der Hausmittel bedient. Aber in einer deutschen Amtsstube riecht alles nach der Apotheke. Tritt man hinein, so geschieht von zweien Dingen eins. Entweder man ist unerfahren, und dann fühlt man sich das Herz wie zugeschnürt über diese ängstliche Stille, diese Grämlichkeit der Beamten und ihr geisterartig hohles und gefühlloses Reden. Oder man kennt die Welt, und dann lächelt man nur allzu viel, weil man nur allzu gut weiß, daß diese finstern Götter so unerbittlich nicht sind. In dem einen Falle geht die Liebe, in dem andern die Achtung verloren.

42. Man sollte denken, wer sich vor keiner Kanonenkugel fürchtet, fürchtet nichts auf der Welt; aber man gewahrt das Gegenteil. Vielen Menschen, vornehmen wie geringen, ist ein solcher Aberglauben anerzogen, daß sie zittern vor dem Rauschen eines Blattes, ob sie zwar mit freudigem Mute in die Schlacht gehen. In der politischen Welt hat diese Schwäche üble Folgen. Nicht an tapfern Feldherren fehlt es manchen Fürsten, aber an diplomatischen Helden, die – nicht zittern vor dem Rauschen eines Blattes.

43. Es wird keineswegs behauptet, daß in Staaten mit repräsentativen Verfassungen ein ewiger Frühling herrsche. Aber sie haben den Vorzug, daß jedes Jahr der Schnee in ihnen schmilzt, während er sich in unbeschränkten Monarchien zu Gletschern und Lawinen anhäuft, die das unten wohnende Volk immer bedrohen, oft zermalmen.

44. Leidenschaften der Regierungen zeugen von Schwäche, Leidenschaften des Volkes aber zeugen von Stärke.

45. In der guten alten Zeit, da das ganze große Frankreich nur die Schleppe von Versailles war und bei der Toilette einer Buhlerin erst über die neue Form der Hauben, dann über das Schicksal von fünfundzwanzig Millionen Menschen entschieden wurde, erhielt der General von R. aus den Händen der Frau von Pompadour den Plan zum bevorstehenden Feldzuge, der auf einer Landkarte mit Schönpflästerchen und Schminke bezeichnet war. Die gute alte Zeit!

46. Regierungen sind Segel, das Volk ist Wind, der Staat ist Schiff, die Zeit ist See.

47. Denkt euch: ein Arzt untersagte seinem Kranken jede anhaltende Bewegung; sie könnte ihm tödlich werden, erklärte er. Der Kranke wäre unfolgsam und ginge eine Meile weit. Was würdet ihr von jenem Arzte sagen, der, um den Fehler wieder gutzumachen, den Kranken seinen gegangenen Weg wieder zurücklegen ließe? Jetzt denkt euch: ein Volk sei krank, man verbiete ihm die Bewegung; aber es hat sich doch bewegt. Wenn nun, um den Schaden zu verbessern, die Staatsärzte dasselbe zu dem Punkte, von dem es ausgegangen, wieder zurückführten, was würdet ihr davon denken? ... Ist Bewegung schädlich, so ist es jede, sie richte sich vorwärts oder rückwärts, und es bleibt nichts übrig, als das Volk an dem Orte, wo man es eingeholt, ins Bett zu legen und die Krise abzuwarten.

48. Die Macht, als sie selbst noch hausmütterlich, die Zeit aber wohlfeil war, lebte von den Zinsen ihres Vermögens und war glänzend genug. Jetzt aber, weil alle Bedürfnisse der Menschheit so kostspielig geworden, hat die Macht ihr Vermögen auf Leibrenten gestellt. Daher scheint es, als hätten ihre Mittel sich vermehrt. Das die erste Hälfte des Geheimnisses! Die andere Hälfte ist: früher wurde durch Hebel regiert, jetzt geschieht es durch Menschenkraft, und so weiter. Der Leser wird gebeten, den Spuren dieses Gedankens nachzugehen.

49.Was den Übergang der alten Zeit in die neue so blutig macht, ist die Enge des Weges, der von jener zu dieser führt. Zwischen Vergangenheit und Zukunft fließt ein breiter Strom, die Gegenwart ist die Brücke darüber. Die Angreifenden und die, welche sich verteidigen, die Vordringenden und die Fliehenden, treiben, drängen und hindern sich darauf. Tausend Schlachtopfer fallen fruchtlos, ohne den Sieg zu beschleunigen noch die Niederlage zu verzögern. Aber der Mensch muß auch gerecht gegen sich selbst sein, das ist nicht seine Schuld, das Schicksal hat es zu verantworten.

50. Ein Schüler der Diplomatik hat bekanntlich drei Dinge zu lernen: erstens französisch sprechen, zweitens nichts sprechen und drittens die Unwahrheit sprechen. Diesen Künsten verdanken Monarchien ihre Haltung von außen. Man muß daher erstaunen, daß die hohe Pforte stets in gutem Vernehmen mit sämtlichen Mächten geblieben ist, ob sie zwar von jenen Künsten nichts versteht. Die türkischen Minister reden arabisch, lügen nie und sagen alles, was sie denken. Es ist so wenig Zartheit in ihrem Benehmen, daß man glauben sollte, sie wohnten tausend Meilen von Pera entfernt. Als einst ein europäischer Gesandter dem Großvezier bekannt machte, daß sein Fürst über einen andern einen entscheidenden Sieg erfochten hätte, antwortete dieser: „Was liegt daran, ob der Hund das Schwein oder das Schwein den Hund frißt, wenn nur die Angelegenheiten meines Herrn gut stehen.“ Quelle horreur!