Aphorismen aus der Feder von Johann Wolfgang von Goethe.

Autor: Goethe, Johann Wolfgang von (1749-1832)
Themenbereiche
Das Gemeine muß man nicht rügen; denn das bleibt sich ewig gleich.



Es ist besser, das geringste Ding von der Welt zu tun, als eine halbe Stunde für gering halten.



Das Gedächtnis mag immer schwinden, wenn das Urteil im Augenblick nicht fehlt.



Sich mitzuteilen ist Natur; Mitgeteiltes aufzunehmen, wie es gegeben wird, ist Bildung.



Wir blicken so gern in die Zukunft, weil wir das Ungefähre, was sich in ihr hin und her bewegt, durch stille Wünsche so gern zu unsern Gunsten heranleiten möchten.



Wenn die Menschen recht schlecht werden, haben sie keinen Anteil mehr als die Schadenfreude.



Wie in Rom außer den Römern noch ein Volk von Statuen war, so ist außer dieser realen Welt noch eine Welt des Wahns, viel mächtiger beinahe, in der die meisten leben.



Wenn man der Welt was zuliebe gemacht, so wird sie dafür sorgen, daß man es nicht zum zweiten Male tut.



Ein Zustand, der alle Tage neuen Verdruß zuzieht, ist nicht der rechte.



Niemand würde in Gesellschaften sprechen, wenn er sich bewußt wäre, wie oft er die andern mißversteht.



Die Welt ist eine Glocke, die einen Riß hat; sie klappert, aber sie klingt nicht.



Gewisse Mängel sind notwendig zum Dasein des einzelnen. Es würde uns unangenehm sein, wenn alte Freunde gewisse Eigenheiten ablegten.



Alles, was wir treiben und tun, ist ein Abmühen; wohl dem, der nicht müde wird.



Man verändert fremde Reden beim Wiederholen wohl nur darum so sehr, weil man sie nicht verstanden hat.



Wer vor andern lange allein spricht, ohne den Zuhörern zu schmeicheln, erregt Widerwillen.



Jedes ausgesprochene Wort erregt den Gegensinn.



Widerspruch und Schmeichelei machen beide ein schlechtes Gespräch.



Man läßt sich seine Mängel vorhalten, man läßt sich strafen, man leidet manches um ihrer willen mit Geduld; aber ungeduldig wird man, wenn man sie ablegen soll.



Die angenehmsten Gesellschaften sind die, in welchen eine heitere Ehrerbietung der Glieder gegeneinander obwaltet.



Durch nichts bezeichnen die Menschen mehr ihren Charakter als durch das, was sie lächerlich finden.



Das Lächerliche entspringt aus einem sittlichen Kontrast, der auf eine unschädliche Weise für die Sinne in Verbindung gebracht wird.



Der sinnliche Mensch lacht oft, wo nichts zu lachen ist. Was ihn auch anregt, sein inneres Behagen kommt zum Vorschein.



Der Verständige findet alles lächerlich, der Vernünftige fast nichts.



Einem bejahrten Manne verdachte man, daß er sich noch um junge Frauenzimmer bemühte. Es ist das einzige Mittel, versetzte er, sich zu verjüngen, und das will doch jedermann.



In der Welt ist es sehr selten mit dem Entweder-Oder getan; die Empfindungen und Handlungsweisen schattieren sich so mannigfaltig, als Abfälle zwischen einer Habichts- und Stumpfnase sind.



Man nimmt in der Welt jeden, wofür er sich gibt; aber er muß sich auch für etwas geben. Man erträgt die Unbequemen lieber, als man die Unbedeutenden duldet.



Man kann der Gesellschaft alles aufdrängen, nur nicht, was eine Folge hat.



Wir lernen die Menschen nicht kennen, wenn sie zu uns kommen; wir müssen zu ihnen gehen, um zu erfahren, wie es mit ihnen steht.



Durch das, was wir Betragen und gute Sitten nennen, soll das erreicht werden, was außerdem nur durch Gewalt oder auch nicht einmal durch Gewalt zu erreichen ist.



Der Umgang mit Frauen ist das Element guter Sitten.



Wie kann der Charakter, die Eigentümlichkeit des Menschen mit der Lebensart bestehen? Das Eigentümliche müßte durch die Lebensart erst recht hervorgehoben werden. Das Bedeutende will jedermann, nur soll es nicht unbequem sein.



Die größten Vorteile im Leben überhaupt wie in der Gesellschaft hat ein gebildeter Soldat. Rohe Kriegsleute gehen wenigstens nicht aus ihrem Charakter, und weil doch meist hinter der Stärke eine Gutmütigkeit verborgen liegt, so ist im Notfalle auch mit ihnen auszukommen.



Niemand ist lästiger als ein täppischer Mensch vom Zivilstande. Von ihm könnte man die Feinheit fordern, da er sich mit nichts Rohem zu beschäftigen hat.



Zutraulichkeit an der Stelle der Ehrfurcht ist immer lächerlich. Es würde niemand den Hut ablegen, nachdem er kaum das Kompliment gemacht hat, wenn er wüßte, wie komisch das aussieht.



Es gibt kein äußeres Zeichen der Höflichkeit, das nicht einen tiefen sittlichen Grund hätte. Die rechte Erziehung wäre, welche dieses Zeichen und den Grund zugleich überlieferte.



Das Betragen ist ein Spiegel, in welchem jeder sein Bild zeigt.



Es gibt eine Höflichkeit des Herzens; sie ist der Liebe verwandt. Aus ihr entspringt die bequemste Höflichkeit des äußeren Betragens.



Freiwillige Abhängigkeit ist der schönste Zustand, und wie wäre der möglich ohne Liebe.



Wir sind nie entfernter von unseren Wünschen, als wenn wir uns einbilden, das Gewünschte zu besitzen.



Gegen große Vorzüge eines andern gibt es kein Rettungsmittel als die Liebe.



Niemand ist mehr Sklave, als der sich für frei hält, ohne es zu sein. Es darf sich einer nur für frei erklären, so fühlt er sich den Augenblick als bedingt. Wagt er es, sich für bedingt zu erklären, so fühlt er sich frei.


Es ist was Schreckliches um einen vorzüglichen Mann, auf den sich die Dummen was zugute tun.


Es gibt, sagt man, für den Kammerdiener keinen Helden. Das aber bloß daher, weil der Held nur vom Helden anerkannt werden kann. Der Kammerdiener wird aber wahrscheinlich seinesgleichen zu schätzen wissen.


Es gibt keinen größeren Trost für die Mittelmäßigkeit, als daß das Genie nicht unsterblich sei.


Die größten Menschen hängen immer mit ihrem Jahrhundert durch eine Schwachheit zusammen.


Man hält die Menschen gewöhnlich für gefährlicher als sie sind. Toren und gescheite Leute sind gleich unschädlich. Nur die Halbnarren und Halbweisen, das sind die gefährlichsten.


Man weicht der Welt nicht sicherer aus als durch die Kunst, und man verknüpft sich nicht sicherer mit ihr als durch die Kunst.


Selbst im Augenblick des höchsten Glücks und der höchsten Not bedürfen wir des Künstlers.


Die Kunst beschäftigt sich mit dem Schweren und Guten. Die Schwierigkeiten wachsen, je näher man dem Ziele kommt. Säen ist nicht so beschwerlich als Ernten.


Das Schwierige leicht behandelt zu sehen, gibt uns das Anschauen des Unmöglichen.


Setzten wir uns an die Stelle anderer Personen, so würden Eifersucht und Haß wegfallen, die wir so oft gegen sie empfinden; und setzten wir andere an unsere Stelle, so würde Stolz und Einbildung gar sehr abnehmen.


Nachdenken und Handeln verglich einer mit Rahel und Lea; die eine war anmutiger, die andere fruchtbarer.


Nichts im Leben außer Gesundheit und Tugend ist schätzenswerter als Kenntnis und Wissen; auch ist nichts so leicht zu erreichen und so wohlfeil zu erhandeln; die ganze Arbeit ist ruhig sein, und die Ausgabe Zeit, die wir nicht retten, ohne sie auszugeben.



Sogar der Besonnenste ist im täglichen Weltleben genötigt, klug für den Augenblick zu sein und gelangt deswegen im allgemeinen zu keiner Klarheit. Selten weiß er sicher, wohin er sich in der Folge wenden und was er eigentlich zu tun und zu lassen habe.


Von der besten Gesellschaft sagt man, ihr Gespräch ist unterrichtend, ihr Schweigen bildend.


Nicht insofern der Mensch etwas zurückläßt, sondern insofern er wirkt und genießt und andere zu wirken und zu genießen anregt, bleibt er von Bedeutung.


Wer sich dem Notwendigsten widmet, geht überall am sichersten zum Ziel; andere hingegen, das Höhere, Zartere suchend, haben schon in der Wahl des Weges vorsichtiger zu sein. Doch was der Mensch auch ergreife und handhabe, der einzelne ist sich nicht hinreichend. Gesellschaft bleibt eines wackeren Mannes höchstes Bedürfnis. Alle brauchbaren Menschen sollen in Bezug untereinander stehen, wie sich der Bauherr nach dem Architekten und dieser nach Maurer und Zimmermann umsieht.


Nie sollten die Menschen unsere Handlungen beurteilen, die ihnen nur einzeln und abgerissen erscheinen, wovon sie das wenigste sehen, weil Gutes und Böses im verborgenen geschieht und eine gleichgültige Erscheinung meistens nur an den Tag kommt! Bringt man ihnen doch Schauspieler und Schauspielerinnen auf erhöhte Bretter, zündet von allen Seiten Licht an, das ganze Werk ist in wenig Stunden abgeschlossen, und doch weiß selten jemand eigentlich, was er daraus machen soll.


Was unterscheidet den Dummkopf vom geistreichen Menschen, als daß dieser das Zarte, Gehörige der Gegenwart schnell, lebhaft und eigentümlich ergreift und mit Leichtigkeit ausdrückt, als daß jene, gerade wie wir es in einer fremden Sprache tun, sich mit schon gestempelten, hergebrachten Phrasen bei jeder Gelegenheit behelfen müssen.


Daß die Kinder nicht wissen, warum sie wollen, darin sind alle hochgelehrten Schul- und Hofmeister einig; daß aber auch Erwachsene gleich Kindern auf diesem Erdboden herumtaumeln und wie jene nicht wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen, ebensowenig nach wahren Zwecken handeln, ebenso durch Biskuit und Kuchen und Birkenreiser regiert werden, das will niemand gern glauben, und mich dünkt, man kann es mit Händen greifen.


Die Toren, die nicht sehen, daß es eigentlich auf den Platz gar nicht ankommt und daß der, der den ersten hat, so selten die erste Rolle spielt. Wie mancher König wird durch seinen Minister, wie mancher Minister durch seinen Sekretär regiert! Und wer ist denn der Erste? Der, dünkt mich, der die andern übersieht und so viel Gewalt oder List hat, ihre Kräfte und Leidenschaften zur Ausführung seiner Pläne anzuspannen.


Feindselige Naturen, die nur wider Willen entschiedene Vorzüge anerkennen, möchten gern jeden trefflichen Mann in sein Verdienst ganz eigentlich einsperren und ihm eine vielseitige Bildung, die allein Genuß gewährt, verkümmern. Sie sagen gewöhnlich, zu seinem Ruhme habe er dieses oder jenes nicht unternehmen sollen. Als wenn man alles um des Ruhmes willen täte, als wenn die Lebensvereinigung mit ähnlich Gesinnten durch ernste Teilnahme an dem, was sie treiben und leisten, nicht den höchsten Wert hätte.


Jeder, der mit lebhaften Kräften vor unseren Augen eine Absicht zu erreichen strebt, kann, wir mögen seinen Zweck loben oder tadeln, sich unsere Teilnahme versprechen; sobald aber die Sache entschieden ist, wenden wir unser Auge sogleich von ihm weg. Alles, was geendet, was abgetan daliegt, kann unsere Aufmerksamkeit keineswegs fesseln, besonders, wenn wir schon früh der Unternehmung einen üblen Ausgang prophezeit haben.


Es ist nicht gut, kaum geknüpfte Verhältnisse zu zerreißen. Alles im Leben, wenn es gedeihen soll, muß eine Folge haben.


Wer Hilfe begehrt, muß nicht auf seinem Sinne bleiben. Immer zu mißtrauen, ist ein Irrtum, wie immer zu trauen.


Jedem ist und bleibt das wahr, was ihm fruchtbar ist. Wer bei seiner Meinung beharrt, zeigt uns nur, daß er sie nicht entbehren könne. Wer das versteht, wird nie kontrovertieren.


So angenehm uns der Anblick eines wohlgestalteten Menschen ist, so angenehm ist uns eine ganze Einrichtung, aus der uns die Gegenwart eines verständigen, vernünftigen Wesens fühlbar wird. Schon in ein reinliches Haus zu kommen, ist eine Freude, wenn es auch sonst geschmacklos gebaut und verziert ist; denn es zeigt uns die Gegenwart wenigstens von einer Seite gebildeter Menschen. Wie doppelt angenehm ist es uns also, wenn aus einer menschlichen Wohnung uns der Geist einer höheren, obgleich auch nur sinnlichen Kultur entgegenspricht.


Wenn gewöhnliche Menschen, durch gemeine Verlegenheiten des Tages zu einem leidenschaftlich ängstlichen Betragen aufgeregt, uns ein mitleidiges Lächeln abnötigen, so betrachten wir dagegen mit Ehrfurcht ein Gemüt, in welchem die Saat eines großen Schicksals ausgesät worden, das die Entwicklung dieser Empfängnis abwarten muß und weder das Gute noch das Böse, weder das Glückliche noch das Unglückliche, was daraus entspringen soll, beschleunigen darf und kann.


Es ist immer ein Unglück, in neue Verhältnisse zu treten, aus denen man nicht hergekommen ist; wir werden oft wider unsern Willen zu einer falschen Teilnahme gelockt, uns peinigt die Halbheit solcher Zustände, und doch sehen wir weder die Mittel, sie zu ergänzen noch ihnen zu entsagen.


Es gibt problematische Naturen, die keiner Lage gewachsen sind, in der sie sich befinden und denen keine genug tut. Daraus entsteht der ungeheuere Widerstreit, der das Leben ohne Genuß verzehrt.


Es ist das Seltenste und daher auch das Köstlichste zu nennen, wenn eine gegenseitige Auffassung und Hingebung immer die rechte Wirkung tut; immer etwas bildet, was dem nächsten Schritt im Leben zugute kommt, wie denn durch eine glückliche Übereinstimmung des Augenblicks gewiß am lebendigsten auf die Zukunft gewirkt ist.


Das, was man gedacht, die Bilder, die man gesehen, lassen sich in dem Verstand und in der Einbildungskraft wieder hervorrufen; aber das Herz ist nicht so gefällig; es wiederholt uns nicht die schönsten Gefühle, und am wenigsten sind wir vermögend, uns enthusiastische Momente wieder zu vergegenwärtigen; man wird unvorbereitet davon überfallen und überläßt sich ihnen unbewußt. Andere, die uns in solchen Augenblicken beobachten, haben deshalb davon eine klarere und reinere Ansicht als wir selbst.


Es gibt Menschen, die auf die Mängel ihrer Freunde sinnen. Es kommt nichts dabei heraus. Ich habe immer auf die Verdienste meiner Widersacher acht gehabt und davon Vorteil gezogen.


Den Menschen ist nicht zu helfen, und sie hindern uns, daß man sich selbst hilft. Sind sie glücklich, so soll man sie in ihren Albernheiten gewähren lassen; sind sie unglücklich, so soll man sie retten, ohne diese Albernheiten anzutasten; und niemand fragt jemals, ob du glücklich oder unglücklich bist.


Jeder hat etwas in seiner Natur, das, wenn er es öffentlich ausspräche, Mißfallen erregen müßte.


Das eigentlich Unverständige sonst verständiger Menschen ist, daß sie nicht zurecht zu legen wissen, was ein anderer sagt, aber nicht gerade trifft, wie er's hätte sagen sollen.


Dem tätigen Menschen kommt es darauf an, daß er das Rechte tue; ob das Rechte geschehe, soll ihn nicht kümmern.


Der Eigenname eines Menschen ist nicht etwa wie ein Mantel, der bloß um ihn herhängt und an dem man allenfalls noch zupfen und zerren kann, sondern ein vollkommen passendes Kleid, ja wie die Haut selbst ihm über und über angewachsen, an der man nicht schaben und schinden darf, ohne ihn selbst zu verletzen.


Vielleicht hätte man viel mehr Dank und Vorteil vom Leben, wenn man sich wechselweise gerade herausspräche, was man voneinander erwartet. Ist das geleistet, so sind beide Teile zufrieden, und das Gemütliche, was das erste und letzte von allem ist, erscheint als reine Zugabe.


Es bringt uns nichts näher dem Wahnsinn, als wenn wir uns vor anderen auszeichnen, und nichts erhält so sehr den gemeinen Verstand, als im allgemeinen Sinne mit vielen Menschen zu leben. Wie vieles ist leider nicht in unserer Erziehung und in unseren bürgerlichen Einrichtungen, wodurch wir uns und unsere Kinder zur Tollheit vorbereiten.


Wer seine Bequemlichkeit aufopfert, verachtet gern diejenigen, die sich darin behagen. Jäger, Soldaten, mühsam Reisende bedürfen gutes Mutes, der sich leicht zu Übermut steigert.


Der Alte verliert eins der größten Menschenrechte, er wird nicht mehr von seinesgleichen beurteilt.


Man schont die Alten, wie man die Kinder schont.


Es gibt wenig Menschen, die sich mit dem Nächstvergangenen zu beschäftigen wissen. Entweder das Gegenwärtige hält uns mit Gewalt an sich, oder wir verlieren uns in die Vergangenheit und suchen das völlig Verlorene, wie es nur möglich sein will, wieder hervorzurufen und herzustellen. Selbst in großen und reichen Familien, die ihren Vorfahren vieles schuldig sind, pflegt es so zu gehen, daß man des Großvaters mehr als des Vaters gedenkt.


Man darf nur alt werden, um milder zu sein; ich sehe keinen Fehler begehen, den ich nicht auch begangen hätte.


Es ziemt sich dem Bejahrten, weder in der Denkweise noch in der Art sich zu kleiden, der Mode nachzugehen. Aber er muß wissen, wo er steht und wohin die anderen wollen.


Man hat in jedem Alter gewisse Vorteile und Nachteile im Vergleich zu früheren oder späteren Jahren. Ich war in meinem 40. Lebensjahre über manches so gescheit als jetzt, aber ich besitze in meinem 80. Vorteile, die ich mit früheren nicht vertauschen möchte.


Wenn man älter wird, muß man mit Bewußtsein auf einer gewissen Stufe stehenbleiben.


Loben tue ich ohne Bedenken; denn warum soll ich verschweigen, wenn mir etwas zusagt? Sollte es auch meine Beschränktheit ausdrücken, so habe ich mich deren nicht zu schämen; tadle ich aber, so kann mir begegnen, daß ich etwas Vortreffliches abweise, und dadurch ziehe ich mir die Mißbilligung anderer zu, die es besser verstehen. Ich muß mich zurücknehmen, wenn ich aufgeklärt werde.


Welchen Weg mußte nicht die Menschheit machen, bis sie dahin gelangte, auch gegen Schuldige gelind, gegen Verbrecher schonend, gegen Unmenschliche menschlich zu sein! Gewiß waren die Männer göttlicher Natur, die dies zuerst lehrten, die ihr Leben damit zubrachten, die Ausübung möglich zu machen und zu beschleunigen. Des Schönen sind Menschen selten fähig, öfter des Guten; und wie hoch müssen wir daher diejenigen halten, die dies mit großen Aufopferungen zu befördern suchen.


Jede Natur, die sich aus einem gesunkenen Zustande erheben will, muß oft wieder nachlassen, um sich von der neuen, ungewohnten Anstrengung zu erholen. Ich fürchte mich vor niemanden mehr als vor einem Toren, der einen Anlauf nimmt, klug zu werden.


Bescheidenheit gehört eigentlich nur für persönliche Gegenwart. In guter Gesellschaft ist es billig, daß niemand vorlaut werde, ist es notwendig, daß der Gemeinste mit dem Vortrefflichen in einen gewissen Zustand der Gleichheit gerate. In alle freien schriftlichen Darstellungen gehört Wahrheit, entweder in bezug auf den Gegenstand oder in bezug auf das Gefühl des Darstellenden und, so Gott will, auf beides. Wer einen Schriftsteller, der sich und die Sache fühlt, nicht lesen mag, der darf überhaupt das beste ungelesen lassen.


Wenn ein guter Mensch mit Talent begabt ist, so wird er immer zum Heil der Welt sittlich wirken, sei es als Künstler, Naturforscher, Dichter oder was alles sonst.


Erziehung heißt: die Jugend an die Bedingungen gewöhnen, zu den Bedingungen bilden, unter denen man in der Welt überhaupt, sodann aber in besonderen Kreisen existieren kann. Was der Feuerfunke auf ein geladenes Gewehr, das ist die Gelegenheit zur Neigung, und jede Neigung, die wir gegen unser Gewissen befriedigen, zwingt uns, ein Übermaß von physischer Stärke anzuwenden; wir handeln wieder als wilde Menschen, und es wird schwer, äußerlich diese Anstrengung zu verbergen.


Das ist das Eigentümliche des Lasters, daß es sein Unheil über die Unschuld verbreitet, wie die Tugend ihren Segen über viele, die ihn nicht verdienen, indem doch häufig die Urheber beider, so weit wir sehen können, weder bestraft noch belohnt werden.


Das ist unser schönster und süßester Wahn, den wir nicht aufgeben dürfen, ob er uns gleich viel Pein im Leben verursacht, daß wir das, was wir schätzen und verehren, uns auch womöglich zueignen, ja aus uns selbst hervorbringen und darstellen möchten.


Welche Erziehungsart ist für die beste zuhalten? Antwort: die der Hydrioten. Als Insulaner und Seefahrer nehmen sie ihre Knaben gleich mit zu Schiffe und lassen sie im Dienste herankrabbeln. Wie sie etwas leisten, haben sie Teil am Gewinn, und so kümmern sie sich schon um Handel, Tausch und Beute, und es bilden sich die tüchtigsten Küsten- und Seefahrer, die klügsten Handelsleute und verwegensten Piraten. Aus einer solchen Masse können dann freilich Helden hervortreten, die den verderblichen Brander mit eigener Hand an das Admiralschiff der feindlichen Flotte festklammern.


Den Timon fragte jemand wegen des Unterrichts seiner Kinder. Laßt sie, sagte der, unterrichten in dem, was sie niemals begreifen werden.


Was bildet man nicht immer an unserer Jugend? Da sollen
wir bald diese, bald jene Unart ablegen, und doch sind die Unarten meist ebensoviel Organe, die dem Menschen durch das Leben helfen. Was ist man nicht hinter dem Knaben her, dem man einen Funken Eitelkeit abmerkt! Was ist der Mensch für eine elende Kreatur, wenn er alle Eitelkeit abgelegt hat!


Wenn ältere Personen recht pädagogisch verfahren wollten, so sollten sie einem jungen Manne etwas, was ihm Freude macht, es sei von welcher Art es wolle, weder verbieten noch verleiden, wenn sie nicht zu gleicher Zeit ihm etwas anderes dafür einzusetzen hätten oder unterzuschieben wüßten.


Der Mensch kommt manchmal, indem er sich einer Entwicklung seiner Kräfte, Fähigkeiten und Begriffe nähert, in eine Verlegenheit, aus der ihm ein guter Freund leicht helfen könnte. Er gleicht einem Wanderer, der nicht weit von der Herberge ins Wasser fällt: griffe jemand sogleich zu, risse ihn ans Land, so wäre es um einmal naß werden getan, anstatt daß er sich auch wohl selbst, aber am jenseitigen Ufer, heraushilft und einen beschwerlichen, weiten Umweg nach reinem bestimmten Ziele zu machen hat.


Wem es lebhaft und gegenwärtig ist, welche unendliche Operationen Natur und Kunst machen müssen, bis ein gebildeter Mensch dasteht, wer selbst so viel als möglich an der Bildung seiner Mitbrüder teilnimmt, der möchte verzweifeln, wenn er sieht, wie freventlich sich oft der Mensch zerstört und so oft in den Fall kommt, mit oder ohne Schuld zerstört zu werden. Wenn ich das bedenke, so scheint mir das Leben selbst eine so zufällige Gabe, daß ich jeden loben möchte, der sie nicht höher als billig schätzt.


Es ist eine schauderhafte Empfindung, wenn ein edler Mensch mit Bewußtsein auf dem Punkte steht, wo er über sich selbst aufgeklärt werden soll. Alle Übergänge sind Krisen, und ist eine Krise nicht Krankheit? Wie ungern tritt man nach einer Krankheit vor den Spiegel! Die Besserung fühlt man, und man sieht nur die Wirkung des vergangenen Übels.


Derjenige, an dem viel zu entwickeln ist, wird später über sich und die Welt aufgeklärt. Es sind nur wenige, die den Sinn haben und zugleich zur Tat fähig sind. Der Sinn erweitert, aber lähmt, die Tat belebt, aber beschränkt.


Man soll sich vor einem Talent hüten, das man in Vollkommenheit auszuüben nicht Hoffnung hat. Man mag es darin so weit bringen als man will, so wird man doch immer zuletzt, wenn uns einmal der Verdienst des Meisters klar wird, den Verlust von Zeit und Kräften, die man auf eine solche Pfuscherei verwendet hat, schmerzlich bedauern.


Schreiben ist ein Mißbrauch der Sprache, still für sich lesen ein trauriges Surrogat der Rede. Der Mensch wirkt alles, was er vermag, durch seine Persönlichkeit auf den Menschen, die Jugend am stärksten auf die Jugend, und hier entspringen auch die reinsten Wirkungen. Diese sind es, welche die Welt beleben und weder moralisch noch physisch aussterben lassen.


Was nützt, ist nur ein Teil des Bedeutenden; um einen Gegenstand ganz zu besitzen, zu beherrschen, muß man ihn um seiner selbst willen studieren.


Wer sich von nun an nicht auf eine Kunst oder Handwerk legt, der wird übel daran sein. Das Wissen fördert nicht mehr bei dem schnellsten Umtriebe der Welt; bis man von allem Notiz genommen hat, verliert man sich selbst.


Vielseitigkeit bereitet eigentlich nur das Element vor, worin der Einseitige wirken kann, dem eben jetzt genug Raum gegeben ist. Ja, es ist jetzt die Zeit der Einseitigkeiten. Wohl dem, der es begreift, für sich und andere in diesem Sinne wirkt. Bei gewissen Dingen versteht sich's durchaus und sogleich. Übe dich zum tüchtigen Violinisten und sei versichert, der Kapellmeister wird dir einen Platz im Orchester mit Gunst anweisen. Mache ein Organ aus dir und erwarte, was für eine Stelle dir die Menschheit im allgemeinen Leben wohlmeinend zugestehen werde.


Eine allgemeine Ausbildung dringt uns jetzt die Welt ohnehin auf; wir brauchen uns deshalb darum nicht weiter zu bemühen, das Besondere müssen wir uns zueignen.


Auf zweierlei Weise kann der Geist hoch erfreut werden, durch Anschauung und Begriff. Aber jenes erfordert einen würdigen Gegenstand, der nicht immer bereit und eine verhältnismäßige Bildung, zu der man nicht gerade gelangt ist. Der Begriff hingegen will nur Empfänglichkeit, er bringt den Inhalt mit und ist selbst das Werkzeug der Bildung.


Die Liebe, deren Gewalt die Jugend empfindet, ziemt nicht dem Alter, so wie alles, was Produktivität voraussetzt. Daß diese sich mit den Jahren erhält, ist ein seltener Fall.


Es ist keine Frage, daß bei allen gebildeten Nationen die Frauen im ganzen das Übergewicht gewinnen müssen; denn bei einem wechselseitigen Einfluß muß der Mann weiblicher werden, und dann verliert er; denn sein Vorzug besteht nicht in gemäßigter, sondern in gebändigter Kraft; nimmt dagegen die Frau von dem Manne etwas an, so gewinnt sie, denn wenn sie ihre übrigen Vorzüge durch Energie erheben kann, so entsteht ein Wesen, das sich nicht vollkommener denken läßt.


Die Überzeugung, durch eigentümliche Kraft, durch festen Willen, aus beengenden Umständen sich hervorgehoben, sich aus sich selbst ausgebildet zu haben, sein Verdienst sich selbst schuldig zu sein, solche Vorteile nur durch ein ungefesseltes Emporstreben des Geistes erhalten und vermehren zu können, erhöht das natürliche Unabhängigkeitsgefühl, das, durch Absonderung von der Welt immer mehr gesteigert, in den unausweichlichen Lebensverhältnissen manchen Druck, manche Unbequemlichkeit erfahren muß.


Nichts gibt uns mehr Aufschluß über uns selbst, als wenn wir das, was vor einigen Jahren von uns ausgegangen ist, wieder vor uns sehen, so daß wir uns selbst nunmehr als Gegenstand betrachten können.


Ein wenig Geiz schadet der Frau nichts, so übel sie die Verschwendung kleidet. Freigebigkeit ist eine Tugend, die dem Manne ziemt, und Festhalten ist die Tugend einer Frau. So hat es die Natur gewollt, und dieses Urteil wird im ganzen immer naturgemäß ausfallen.


Man betrachte ein Frauenzimmer als Liebende, als Braut, als Frau, Hausfrau und Mutter, immer steht sie isoliert, immer ist sie allein und will allein sein. Ja, die Eitle selbst ist in dem Falle. Jede Frau schließt die andere aus, ihrer Natur nach; denn von jeder wird alles gefordert, was dem ganzen Geschlechte zu leisten obliegt. Nicht so verhält es sich mit den Männern. Der Mann verlangt den Mann, er würde sich einen zweiten erschaffen, wenn es keinen gäbe, eine Frau könnte eine Ewigkeit leben, ohne daran zu denken, sich ihresgleichen hervorzubringen.


Glückliche Jugend, glückliche Zeiten des ersten Liebesbedürfnisses! Der Mensch ist dann wie ein Kind, das sich am Echo stundenlang ergötzt, die Unkosten des Gespräches allein trägt und mit der Unterhaltung wohl zufrieden ist, wenn der unsichtbare Gegenpart auch nur die letzten Silben der ausgerufenen Worte wiederholt.


Die Welt ist so leer, wenn man nur Berge, Flüsse und Städte darin denkt; aber hier und da jemand zu wissen, der mit uns übereinstimmt, mit dem wir auch stillschweigend fortleben, das macht uns dieses Erdenrund erst zu einem bewohnten Garten.


Zwei liebende Herzen sind wie zwei Magnetuhren; was in der einen sich regt, muß auch die andere mitbewegen; denn es ist nur eins, was in beiden wirkt, eine Kraft, die sie durchzieht.


Alle Ganz- und Halbpoeten machen uns mit der Liebe dergestalt bekannt, daß sie müßte trivial geworden sein, wenn sie sich nicht naturgemäß in voller Kraft und vollem Glanz immer wieder erneute.


Der Mensch, abgesehen von der Herrschaft, in welcher die Passion ihn fesselt, ist noch von manchen notwendigen Verhältnissen gebunden. Wer diese nicht kennt oder in Liebe umwandeln will, der muß unglücklich werden.


Die ersten Liebesneigungen einer unverdorbenen Jugend nehmen durchaus eine geistige Wendung. Die Natur scheint zu wollen, daß ein Geschlecht in dem andern das Gute und Schöne sinnlich gewahr werde.


Wahrhaft Liebende betrachten alles, was sie bisher empfunden, nur als Vorbereitung zu ihrem gegenwärtigen Glück, nur als Basis, worauf sich erst ihr Lebensgebäude erheben soll. Vergangene Neigungen erscheinen wie Nachtgespenster, die sich vor dem anbrechenden Tag wegschleichen.


Die ersten Schritte, die uns in den Irrgarten der Liebe bringen, sind so angenehm, die ersten Aussichten so reizende daß man sie gar zu gern in sein Gedächtnis zurückruft. Jeder Teil sucht einen Vorzug vor dem andern zu behalten, er habe früher uneigennütziger geliebt, und jedes wünscht in diesem Wettstreit lieber überwunden zu werden als zu überwinden.


Freundschaft kann sich bloß praktisch erzeugen, praktisch Dauer gewinnen. Neigung, ja sogar Liebe, hilft alles nichts zur Freundschaft. Die wahre, die tätige, produktive besteht darin, daß wir gleichen Schritt im Leben halten, daß der Freund meine Zwecke billigt, ich die seinigen, und daß wir so unverrückt zusammen fortgehen, wie auch sonst die Differenz unserer Denk- und Lebensweise sein möge.


Wie ganz füllt das unser Herz, wenn wir, beleidigt, den Gegenstand unserer Liebe zu verlassen bei uns sehr eifrig festsetzen, mit welchen Verzerrungen von Seelenstärke treten wir wieder in seine Gegenwart, wie übt sich das in unserem Busen auf und ab, und wie platzt es zuletzt wieder auf einen Blick, einen Händedruck zusammen!


Die reinste Freude, die man an einer geliebten Person finden kann, ist die, zu sehen, daß sie andere erfreut.


Wenn es gefährlich ist, einen Freund mit den Vorzügen seiner Geliebten bekannt zu machen, weil er sie wohl auch reizend und begehrenswürdig finden möchte, so ist die umgekehrte Gefahr nicht geringer, daß er uns durch seine Abstimmung irre machen kann.


Wie man aus Gewohnheit nach einer abgelaufenen Uhr hinsieht, als wenn sie noch ginge, so blickt man auch wohl einer Schönen ins Gesicht, als wenn sie noch liebte.


In jeder großen Trennung liegt ein Keim von Wahnsinn; man muß sich hüten, ihn nachdenklich auszubrüten und zu pflegen.


Der sittliche Mensch erregt Neigung und Liebe nur insofern, als man Sehnsucht in ihm gewahr wird; sie drückt Besitz und Wunsch zugleich aus; den Besitz eines zärtlichen Herzens und den Wunsch, ein gleiches in anderen zu finden; durch jenes ziehen wir an, durch dieses geben wir uns hin.


Man feiere nur, was glücklich vollendet ist; alle Zeremonien zum Anfang erschöpfen Lust und Kräfte, die das Streben hervorbringen und uns bei einer fortgesetzten Mühe beistehen sollen. Unter allen Festen ist das Hochzeitsfest das unschicklichste; keines sollte mehr in Stille, Demut und Hoffnung begangen werden als dieses.


Glücklicherweise kann der Mensch nur einen gewissen Grad des Unglücks fassen; was darüber hinausgeht, vernichtet ihn oder läßt ihn gleichgültig. Es gibt Lagen, in denen Furcht und Hoffnung eins werden, sich einander wechselseitig aufheben und in eine dunkle Fühllosigkeit verlieren. Wie könnten wir sonst die entfernten Geliebtesten in stündlicher Gefahr wissen und dennoch unser gewöhnliches, tägliches Leben immer so fort treiben.


Eine liebevolle Aufmerksamkeit auf das, was der Mensch besitzt, macht ihn reich, indem er sich einen Schatz der Erinnerung an gleichgültige Dinge dadurch anhäuft.


Die Gegenwart des Elenden ist dem Glücklichen zur Last, und ach, der Glückliche dem Elenden noch mehr.


Der allein ist glücklich und groß, der weder zu herrschen noch zu gehorchen braucht, um etwas zu sein.


Wir bemerken, daß die lebhaftesten und höchsten Vergnügen, wie die vorbeifliegenden Pferde, nur einen Augenblick uns erscheinen, uns rühren und kaum eine Spur in der Seele zurücklassen, daß Freiheit und Gleichheit nur in dem Taumel des Wahnsinns genossen werden können und daß die größte Lust nur dann am höchsten reizt, wenn sie sich ganz nahe an die Gefahr drängt und lüstern ängstlich süße Empfindungen in ihrer Nähe genießt.


Wie man zu sagen pflegt, daß kein Unglück allein komme, so läßt sich auch wohl bemerken, daß es mit dem Glück ähnlicherweise beschaffen sei; ja auch mit andern Umständen, die sich auf eine harmonische Weise um uns versammeln, es sei nun, daß ein Schicksal dergleichen auf uns lege oder daß der Mensch die Kraft habe, das, was zusammengehört, an sich heranzuziehen.


Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unseres Schicksals leichtem Wagen durch, und uns bleibt nichts, als mutig gefaßt die Zügel festzuhalten und bald rechts, bald links vom Steine hier, vom Sturze da die Räder wegzulenken. Wohin es geht, wer weiß es! Erinnert er sich doch kaum, woher er kam.


Der Mensch kann in keine gefährlichere Lage versetzt werden, als wenn durch äußere Umstände eine große Veränderung seines Zustandes bewirkt wird, ohne daß seine Art zu empfinden und zu denken darauf vorbereitet ist. Es gibt alsdann eine Epoche ohne Epoche, und es entsteht nur ein desto größerer Widerspruch, je weniger der Mensch bemerkt, daß er zu dem neuen Zustand noch nicht ausgebildet sei.


Unter allen Besitzungen auf Erden ist ein eigen Herz die kostbarste, und unter Tausenden haben sie kaum zwei.


Es ist nichts erbärmlicher in der Welt als ein unentschlossener Mensch, der zwischen zwei Empfindungen schwebt, gern beide vereinigen möchte und nicht begreift, daß nichts sie vereinigen kann als eben der Zweifel, die Unruhe, die ihn peinigen.


Tiefe Wunden schlägt das Schicksal, aber oft heilbare. Wunden, die das Herz dem Herzen schlägt, das Herz sich selber, die sind unheilbar.


Der Glückliche ist nicht geeignet. Glücklichen vorzustehen; es liegt in der menschlichen Natur, immer mehr von sich und von anderen zu fordern, je mehr man empfangen hat. Nur der Unglückliche, der sich erholt, weiß für sich und andere das Gefühl zu nähren, daß auch ein mäßiges Gutes mit Entzücken genossen werden soll.


Ob denn die Glücklichen glauben, daß der Unglückliche wie ein Gladiator mit Anstand vor ihnen umkommen solle, wie der römische Pöbel zu fordern pflegte?


Nicht die Talente, nicht das Geschick zu diesem oder jenem machen eigentlich den Mann der Tat, die Persönlichkeit ist's, von der in solchen Fällen alles abhängt. Der Charakter ruht auf der Persönlichkeit, nicht auf den Talenten. Talente können sich zum Charakter gesellen, er gesellt sich nicht zu ihnen; denn ihm ist alles entbehrlich, außer er selbst.


Ich kann mich nur über den Menschen freuen, der weiß, was ihm und andern nütze ist und seine Willkür zu beschränken arbeitet. Jeder hat sein eigen Glück unter den Händen, wie der Künstler eine rohe Materie, die er zu einer Gestalt umbilden will. Aber es ist mit dieser Kunst wie mit allen, nur die Fähigkeit dazu wird uns angeboren, sie will gelernt und sorgfältig ausgeübt sein.


Manchmal sieht unser Schicksal aus wie ein Fruchtbaum im Winter. Wer sollte bei dem traurigen Ansehen desselben wohl denken, daß diese starren Aste, diese zackigen Zweige im nächsten Frühjahr wieder grünen, blühen, sodann Früchte tragen könnten; doch wir hoffen's, wir wissen's.


Ein zu zartes Gewissen, das eigene Selbst überschätzend, macht hypochondrisch, wenn es nicht durch große Tätigkeit balanciert wird.


Kühn handelt jedesmal der Gottberufene; ich hab's gewagt, ist sein Wahlspruch; nicht: darf ich? kann ich? wer steht mir bei? wird's auch werden? Sonst geschähe in der Welt nichts.


Man bedenkt nicht immer, daß ein kühn Unternommenes in der Ausführung gleichfalls Kühnheit erfordert, weil bei dem Ungemeinen durch gemeine Mittel nicht wohl auszulangen sein möchte.


Wir sind nicht klein, wenn Umstände uns zu schaffen machen, nur wenn sie uns überwältigen.


Das ist der Vorzug edler Naturen, daß ihr Hinscheiden in höhere Regionen segnend wirkt wie ihr Verweilen auf der Erde, daß sie uns von dorther gleich Sternen entgegenleuchten als Richtpunkte, wohin wir unsern Lauf bei einer nur zu oft durch Stürme unterbrochenen Fahrt zu richten haben, daß diejenigen, zu denen wir uns als zu Wohlwollenden und Hilfreichen im Leben hinwendeten, nun die sehnsuchtsvollen Blicke nach sich ziehen als Vollendete, Selige.


Natur: wir sind von ihr umgeben und umschlungen, unvermögend, aus ihr herauszutreten und unvermögend, tiefer in sie hineinzukommen. Ungebeten und ungewarnt nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes auf und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihrem Arme entfallen. Sie schafft ewig neue Gestalten, was da ist, war noch nie, was war, kommt nicht wieder. Alles ist neu und doch immer das Alte. Wir leben mitten in ihr und sind ihr Fremde. Sie spricht unaufhörlich mit uns und verrät uns ihr Geheimnis nicht. Wir wirken beständig auf sie und haben doch keine Gewalt über sie.


Von Natur besitzen wir keinen Fehler, der nicht zur Tugend, keine Tugend, die nicht zum Fehler werden könnte. Diese letzten sind gerade die bedenklichsten.


So wiederholt sich dann abermals das Jahresmärchen von vorn. Wir sind nun wieder, Gott sei Dank, an seinem artigsten Kapitel. Veilchen und Maiblumen sind wie Überschriften und Vignetten dazu. Es macht uns immer einen angenehmen Eindruck, wenn wir sie in dem Buche des Lebens wieder aufschlagen.


Wir schelten die Armen, besonders die Unmündigen, wenn sie sich an den Straßen herumlegen und betteln. Bemerken wir nicht, daß sie gleich tätig sind, sobald es was zu tun gibt? Kaum entfaltet die Natur ihre freundlichen Schätze, so sind die Kinder dahinter her, um ein Gewerbe zu eröffnen; keines bettelt mehr, jedes reicht dir einen Strauß; es hat ihn gepflückt, ehe du vom Schlaf erwachtest, und das Bittende sieht dich so freundlich an wie die Gabe. Niemand sieht erbärmlich aus, der bei sich einiges Recht fühlt, fordern zu dürfen.


Warum nur das Jahr manchmal so kurz, manchmal so lang ist, warum es so kurz scheint und so lang in der Erinnerung. Mir ist es mit dem Vergangenen so und nirgends auffallender als im Garten, wie Vergängliches und Dauerndes ineinander greift. Und doch ist nichts so flüchtig, das nicht eine Spur, das nicht seinesgleichen zurücklasse.


Man läßt sich den Winter auch gefallen. Man glaubt sich freier auszubreiten, wenn die Bäume so geisterhaft, so durchsichtig vor uns stehen. Sie sind nichts, aber sie decken auch nichts zu. Wie aber einmal Knospen und Blüten kommen, dann wird man ungeduldig, bis das volle Laub hervortritt, bis die Landschaft sich verkörpert und der Baum sich als eine Gestalt uns entgegendrängt.


Alles Vollkommene in seiner Art muß über seine Art hinausgehen, es muß etwas anderes, Unvergleichbares werden. In manchen Tönen ist die Nachtigall noch Vogel, dann steigt sie über ihre Klasse hinüber und scheint jedem Gefiederten andeuten zu wollen, was eigentlich singen heiße.


Ein Leben ohne Liebe, ohne die Nähe des Geliebten, ist nur eine comédie à tiroir, ein schlechtes Schubladenstück. Man schiebt eine nach der andern heraus und wieder hinein und eilt zur folgenden. Alles, was auch Gutes und Bedeutendes vorkommt, hängt nur kümmerlich zusammen. Man muß überall von vorn anfangen und möchte überall enden.


Was auch den Geist gewaltsam beschäftigt, die Natur fordert zuletzt doch unwiderstehlich ihre Rechte, und wie ein Kind, umwunden von der Schlange, des erquickenden Schlafes genießt, so legt der Müde sich noch einmal vor der Pforte des Todes nieder und ruht tief aus, als ob er einen weiten Weg zu wandern Hütte.


Süßer Schlaf, du kommst wie ein reines Glück ungebeten, unerfleht am willigsten. Du lösest die Knoten der strengen Gedanken, vermischest alle Bilder der Freude und des Schmerzes, ungehindert fließt der Kreis innerer Harmonien, und, eingehüllt in gefälligen Wahnsinn, versinken wir und hören auf zu sein.


Das Studium der Kunst wie das der alten Schriftsteller gibt uns einen gewissen Halt, eine Befriedigung in uns selbst; indem sie unser Inneres mit großen Gegenständen und Gesinnungen füllt, bemächtigt sie sich aller Wünsche, die nach außen streben und hegt jedes würdige Verlangen in unserem stillen Busen.


Die höchste Aufgabe einer jeden Kunst ist, durch den Schein die Täuschung einer höheren Wirklichkeit zu geben. Ein falsches Bestreben aber ist, den Schein so lange zu verwirklichen, bis endlich nur ein gemeines Wirkliches übrig bleibt.


Der innere Gehalt des bearbeiteten Gegenstandes ist der Anfang und das Ende der Kunst. Man wird zwar nicht leugnen, daß das Genie, das ausgebildete Kunsttalent, durch Behandlung aus allem alles machen und den widerspenstigsten Stoff bezwingen könne. Genau besehen entsteht aber alsdann immer mehr ein Kunststück als ein Kunstwerk, welches auf einem würdigen Gegenstand ruhen soll, damit uns zuletzt die Behandlung durch Geschick, Mühe und Fleiß die Würde des Stoffes nur desto glücklicher und herrlicher entgegenbringe.


Vollendung des Kunstwerks in sich selbst ist die ewige, unerläßliche Forderung. Aristoteles, der das Vollkommene vor sich hatte, sollte an Effekt gedacht haben – welch ein Jammer!


Natur und Kunst sind zu groß, um auf Zwecke loszugehen; Bezüge gibt's überall, und Bezüge sind das Leben.


Jedes künstlerisch Hervorgebrachte versetzt uns in die Stimmung, in welcher sich der Verfasser befand. War sie heiter und leicht, so werden wir uns frei fühlen, war sie beschränkt, sorglich und bedenklich, so zieht sie uns gleichmäßig in die Enge.


Auffassung und Darstellung des Besonderen ist das eigentliche Leben der Kunst. Solange man sich im Allgemeinen hält, kann es uns jeder nachmachen, aber das Besondere macht uns niemand nach. Warum? Weil es die anderen nicht erlebt haben.


Die Kunst ruht auf einer Art religiösem Sinn, auf einem tiefen, unerschütterlichen Ernst, deswegen sie sich auch so gern mit der Religion vereinigt. Die Religion bedarf keines Kunstsinnes. Sie ruht auf ihrem eigenen Ernst, sie verleiht aber auch keinen, sowenig sie Geschmack gibt.


Der Glaube hat die Künste wieder hervorgehoben, der Aberglaube hingegen ist Herr über sie geworden und hat sie abermals zugrunde gerichtet.


Es gibt keine patriotische Kunst und keine patriotische Wissenschaft. Beide gehören wie alles Hohe, Gute der ganzen Welt an und können nur durch allgemeine freie Wechselwirkung aller zugleich Lebenden in steter Rücksicht auf das, was uns vom Vergangenen übrig und bekannt ist, gefördert werden.


Man muß etwas sein, um etwas zu machen. Man muß gleich den Griechen mit persönlicher Großheit sich an die Natur wenden.


Allen andern Künsten muß man etwas vorgeben, der griechischen allein bleibt man ewig Schuldner.


Das schlechteste Bild kann zur Empfindung und zur Einbildungskraft sprechen, indem es sie in Bewegung setzt, los und frei macht und sich selbst überläßt; das beste Kunstwerk spricht auch zur Empfindung, aber eine höhere Sprache, die man freilich verstehen muß; es fesselt die Gefühle und die Einbildungskraft, es nimmt uns unsere Willkür, wir können mit dem Vollkommenen nicht schalten und walten, wie wir wollen, wir sind genötigt, uns ihm hinzugeben, um uns selbst, von ihm erhöht und verbessert, wieder zu erhalten.


Musik im besten Sinne bedarf weniger der Neuheit, ja vielmehr, je älter sie ist, je gewöhnter man sie ist, desto mehr wirkt sie.


Die unwiderstehliche Begierde nach unmittelbarem Anschauen, die in dem Menschen durch Nachrichten von entfernten Gegenständen erregt wird, das Bedürfnis, allem demjenigen, was wir geistigerweise gewahr werden, auch ein sinnliches Bild unterzulegen, sind ein Beweis der Tüchtigkeit unserer Natur, die das Einseitige flieht und immerfort das Innere durchs Äußere, das Äußere durchs Innere zu ergänzen strebt.


Das Erhabene gibt der Seele die schöne Ruhe, sie wird ganz dadurch ausgefüllt, fühlt sich so groß als sie sein kann. Wie herrlich ist ein solches reines Gefühl, wenn es bis gegen den Rand steigt, ohne überzulaufen.


Wenn wir einen solchen Gegenstand zum erstenmal erblicken, so weitet sich die ungewohnte Seele erst aus, und es macht dies ein schmerzlich Vergnügen, eine Überfülle, die die Seele bewegt und uns wollüstige Tränen ablockt. Durch diese Operation wird die Seele in sich größer, ohne es zu wissen und ist jener ersten Empfindung nicht mehr fähig. Der Mensch glaubt verloren zu haben, er hat aber gewonnen.


Allem Leben, allem Tun, aller Kunst muß das Handwerk vorausgehen, welches nur in der Beschränkung erworben wird. Eines recht wissen und ausüben, gibt höhere Bildung als Halbheit im Hundertfältigen.


Wer aufhört, mit den Meistern seiner Kunst zu konversieren, der kommt nicht vorwärts und ist immer in Gefahr zurückzuschwanken. Wie oft sehe ich Talente, die sich gebärden wie die Wespe an der Fensterscheibe; sie möchten das Undurchdringliche mit dem Kopfe durchbohren. Das ginge, denken sie, weil es durchsichtig ist.


Soll das Ungeheuere, wenn es uns als Masse entgegentritt, nicht erschrecken, soll es nicht verwirren, wenn wir sein Einzelnes zu erforschen suchen, so muß es eine natürliche, scheinbar unmögliche Verbindung eingehen, es muß sich das Angenehme zugesellen.


Die Würde der Kunst erscheint bei der Musik vielleicht am eminentesten, weil sie keinen Stoff hat, der abgerechnet werden müßte; sie ist ganz Form und Gehalt und erhöht und veredelt alles, was sie ausdrückt.


Die Musik ist heilig oder profan. Das Heilige ist ihrer Würde ganz gemäß, und hier hat sie die größte Wirkung aufs Leben, welche sich durch alle Zeiten und Epochen gleich bleibt. Die profane sollte durchaus heiter sein.


Die Heiligkeit der Kirchenmusik, das Heitere und Neckische der Volksmelodien sind die beiden Angeln, um die sich die wahre Musik dreht. Auf diesen beiden Punkten beweist sie jederzeit eine unausbleibliche Wirkung: Andacht oder Tanz. Die Vermischung macht irre, die Verschwächung wird fade, und will die Musik sich an Lehrgedichte oder beschreibende und dergleichen wenden, so wird sie kalt.


Plastik wirkt eigentlich nur auf ihrer höchsten Stufe, alles Mittlere kann wohl aus mehr denn einer Ursache imponieren, aber alle mittleren Kunstwerke dieser Art machen mehr irre, als daß sie erfreuen. Die Bildhauerkunst muß sich daher noch ein stoffartiges Interesse suchen, und das findet sie in den Bildnissen bedeutender Menschen. Aber auch hier muß sie schon einen hohen Grad erreichen, wenn sie zugleich wahr und würdig sein will.


Wenn der Smaragd durch seine herrliche Farbe dem Gesicht wohltut, ja sogar einige Heilkraft an diesem edlen Sinn ausübt, so wirkt die menschliche Schönheit noch mit weit größerer Gewalt auf den äußeren und inneren Sinn. Wer sie erblickt, den kann nichts übles anwehen, er fühlt sich mit sich selbst und mit der Welt in Übereinstimmung.


Die wahre Poesie kündet sich dadurch an, daß sie, als ein weltliches Evangelium, durch innere Heiterkeit, durch äußeres Behagen uns von den irdischen Lasten zu befreien weiß, die auf uns drücken. Wie ein Luftballon hebt sie uns mit dem Ballast, der uns anhängt, in höhere Regionen und läßt die Verwirrten Irrgänge der Erde in Vogelperspektive vor uns entwickelt daliegen. Die heitersten wie die ernstesten Werke haben den gleichen Zweck, durch eine glückliche, geistreiche Darstellung sowohl Lust als Schmerz zu mäßigen.


Die Besonnenheit des Dichters bezieht sich eigentlich auf die Form, den Stoff gibt ihm die Welt nur allzu freigebig, der Gehalt entspringt freiwillig aus der Fülle seines Innern, bewußtlos begegnen beide einander, und zuletzt weiß man nicht, wem eigentlich der Reichtum angehört. Aber die Form, ob sie schon vorzüglich im Genie liegt, will erkannt, will bedacht sein, und hier wird Besonnenheit gefordert, daß Form, Stoff und Gehalt sich zueinander schicken, sich einander durchdringen.


Der Humor ist eins der Elemente des Genies, aber sobald er vorwaltet, nur ein Surrogat desselben; er begleitet die abnehmende Kunst, zerstört, vernichtet sie zuletzt.


Der Dichter steht viel zu hoch, als daß er Partei machen sollte. Heiterkeit und Bewußtsein sind die schönen Gaben, für die er dem Schöpfer dankt. Bewußtsein, daß er vor dem Furchtbaren nicht erschrecke, Heiterkeit, daß er alles erfreulich darzustellen wisse.


Die Einbildungskraft in ihrer ausgedehnten Beweglichkeit scheint zwar kein Gesetz zu haben, vielmehr wie ein wacher Traum hin und her zu schwanken, aber genau besehen, wird sie auf mannigfache Weise geregelt, durch Gefühl, durch sittliche Forderungen, durch Bedürfnis des Hörers, am glücklichsten aber durch den Geschmack, wobei die Vernunft ihre edlen Gerechtsame leitend ausübt.


Jede Nationaldichtung muß schal sein oder schal werden, die nicht auf dem Menschlichsten ruht, auf den Ereignissen der Völker und ihrer Hirten, wenn beide für einen Mann stehen. Könige sind darzustellen im Krieg und Gefahr, wo sie eben dadurch als die Ersten erscheinen, weil sie das Schicksal des Allerletzten bestimmen und teilen und dadurch viel interessanter werden als die Götter selbst, die, wenn sie Schicksale bestimmt haben, sich der Teilnahme derselben entziehen. In diesem Sinne muß jede Nation, wenn sie für irgend etwas gelten will, eine Epopäe besitzen, wozu nicht gerade die epische Form nötig ist.


Übersetzer sind als geschäftige Kuppler anzusehen, die uns eine halbverschleierte Schöne als höchst liebenswürdig anpreisen; sie erregen eine unwiderstehliche Neigung nach dem Original.


Der rohe Mensch ist zufrieden, wenn er nur etwas vorgehen sieht, der gebildete will empfinden, und Nachdenken ist nur dem ganz ausgebildeten angenehm.


Nur diejenige Erzählung verdient moralisch genannt zu werden, die uns zeigt, daß der Mensch in sich eine Kraft habe, aus Überzeugung eines Besseren selbst gegen seine Neigung zu handeln.


Der große Reiz, den das Theater für jeden Zuschauer hat, zeigt sich auch darin, daß es so manchen produktiv zu machen scheint, der eigentlich dafür gar kein Talent hat. In jeder Nation strebt eine unverhältnismäßige Anzahl Menschen nach dem Glück, sich selbst von dem Theater herunter wieder zu hören, und es ist niemand zu verargen, wenn man zu dieser inneren Behaglichkeit noch die äußeren Vorteile eines schnellen, allgemeinen, günstigen Bekanntwerdens hinzurechnet.


Lebendiges Gefühl der Zustände und Fähigkeit, es auszudrücken, macht den Poeten.


Historische Stoffe sind mit der Wahrheit ihres Details dem dramatischen Dichter das größte Hindernis. Das einzelne Schöne, historisch Wahre macht einen Teil eines ungeheuren Ganzen, zu dem es völlig proportioniert ist. Das historisch Wahre in einem beschränkten Gedicht läßt sich nur durch große Kraft des Genies und Talents dergestalt beherrschen und bearbeiten, daß es nicht dem engeren Ganzen, das in seiner Sphäre eine ganz andere Art von Unähnlichung verlangt, als störend erscheine.


Es gibt in der Literatur wie in der Gesellschaft solche kleine, wunderliche, purzliche Figuren, die mit einem gewissen Talent begabt, sehr zu- und vordringlich sind und, indem sie leicht von jedem übersehen werden, Gelegenheit zu allerlei Unterhaltung gewähren. Indessen gewinnen diese Personen noch immer genug dabei, sie leben, wirken, werden genannt, und es fehlt ihnen nicht an guter Aufnahme. Was ihnen mißglückt, bringt sie nicht aus der Fassung, sie sehen es als einen einzelnen Fall an und hoffen von der Zukunft die besten Erfolge.


Ein ausgesprochenes Wort tritt in den Kreis der übrigen, notwendig wirkenden Naturkräfte mit ein. Es wirkt um so lebhafter, als in dem engen Räume, in welchem die Menschheit sich ergeht, die nämlichen Bedürfnisse, die nämlichen Forderungen immer wiederkehren.


Gewisse Bücher scheinen geschrieben zu sein, nicht, damit man daraus lerne, sondern damit man wisse, daß der Verfasser etwas gewußt hat.


Derjenige, der aus Mangel von Sinn oder Gewissen das Vortreffliche herunterzieht, ist nur allzu geneigt, das Gemeine, das ihm selbst am nächsten liegt, heraufzuheben und sich dadurch ein schönes mittleres Element zu bereiten, auf welchem er als Herrscher behaglich walten könne. Dergleichen Niveleurs befinden sich besonders in Literaturen, die in Gärung sind, und bei gutmütigen, auf Mäßigkeit und Billigkeit durchaus mehr als auf das Vortreffliche in Künsten und Wissenschaften gerichteten Nationen haben sie starken Einfluß.


Es ist eine falsche Nachgiebigkeit gegen die Menge, wenn man ihnen die Empfindungen erregt, die sie haben wollen und nicht, die sie haben sollen.


Das Publikum lernt niemals begreifen, daß der wahre Poet doch nur als verkappter Bußprediger das Verderbliche der Tat, das Gefährliche der Gesinnung an den Folgen nachzuweisen trachtet. Doch dieses zu gewahren, wird eine höhere Kultur erfordert, als sie gewöhnlich zu erwarten steht. Wer nicht seinen eigenen Beichtvater macht, kann diese Art Bußpredigt nicht vernehmen.


Wer einem Autor Dunkelheit vorwerfen will, sollte erst sein eigenes Innere beschauen, ob es denn da auch recht hell ist. In der Dämmerung wird eine sehr deutliche Schrift unlesbar.


Ein großes Publikum verdient, daß man es achte, daß man es nicht wie Kinder, denen man das Geld abnehmen will, behandle. Man bringe ihm nach und nach durch das Gute Gefühl und Geschmack für das Gute bei, und es wird sein Geld mit doppeltem Vergnügen einlegen, weil ihm der Verstand, ja die Vernunft selbst, bei dieser Ausgabe nichts vorzuwerfen hat. Man kann ihm schmeicheln wie einem geliebten Kinde, schmeicheln, um es zu bessern, um es künftig aufzuklären; nicht wie einem Vornehmen und Reichen, um den Irrtum, den man nutzt, zu verewigen.


Man kann dem Publikum keine größere Achtung bezeigen, als indem man es nicht wie Pöbel behandelt. Der Pöbel drängt sich unvorbereitet zum Schauspielhause, er verlangt, was ihm unmittelbar genießbar ist, er will schauen, staunen, lachen, weinen und nötigt daher die Direktionen, welche von ihm abhängen, sich mehr oder weniger zu ihm herabzulassen und von einer Seite das Theater zu überspannen, von der anderen aufzulösen.


Die größte Achtung, die ein Autor für sein Publikum haben kann, ist, daß er niemals bringt, was man erwartet, sondern was er selbst auf der jedesmaligen Stufe eigner und fremder Bildung für recht und nützlich hält.


Wer das Allgemeine zugrunde legt, wird sich nicht leicht einer Anzahl wünschenswerter Schüler zu freuen haben, das Besondere zieht die Menschen hingegen an und mit Recht, denn das Leben ist aufs Besondere angewiesen, und gar viele Menschen können im einzelnen ihr Leben fortsetzen. ohne daß sie nötig hätten, weiter zu gehen als bis dahin, wo der Menschenverstand ihren fünf Sinnen zu Hilfe kommt.


Ein geistreicher Franzose hat schon gesagt, wenn irgendein guter Kopf die Aufmerksamkeit des Publikums durch ein verdienstliches Werk auf sich gezogen hat, so tut man das Möglichste, um zu verhindern, daß er jemals dergleichen wieder hervorbringt. Es ist so wahr, irgend etwas Gutes, Geistreiches wird in stiller, abgesonderter Jugend hervorgebracht, der Beifall wird erworben, aber die Unabhängigkeit verloren, man zerrt das konzentrierte Talent in die Zerstreuung, weil man denkt, man könne von seiner Persönlichkeit etwas abzupfen und sich zueignen.


Wie ein Schriftsteller sich ankündigt, fährt er meistenteils fort, und bei mittleren Talenten sind oft im ersten Werke alle die übrigen enthalten. Denn der Mensch, der in sich selbst eins und rund ist, kann auch in seinen Werken nur einen gewissen Kreis durchlaufen.


Das Publikum hat eine eigene Art, gegen öffentliche Menschen von anerkanntem Verdienste zu verfahren, es fängt noch und nach an, gleichgültig gegen sie zu werden, begünstigt viel geringere, aber neu erscheinende Talente, es macht an jene übertriebene Forderungen und laßt sich von diesen alles gefallen.


Wenn durch die Gunst der Menge oder der Großen ein mittelmäßiges Talent zu Glück und Ehren gelangt, so entsteht eine wunderbare Bewegung unter seinesgleichen. Alles, was sich ihm ähnlich fühlt, wird durch die Hoffnung belebt, daß nun gleichfalls die Reihe an andere ehrliche Leute, die doch eben auch nicht für ganz verdienstlos zu halten seien, endlich kommen müsse und solle. Doch auch hier wie überall behauptet das Glück sein Majestätsrecht und nimmt sich der Mittelmäßigen so wenig als der Trefflichen an, als wenn es ihm nun gerade einmal beliebt.


Das Genie übt eine Art Ubiquität aus, ins Allgemeine vor, ins Besondere nach der Erfahrung.


Alles Vortreffliche beschränkt für uns einen Augenblick, in dem wir uns demselben nicht gewachsen fühlen; nur insofern wir es nachher in unsere Kultur aufnehmen, es unseren Geist- und Gemütskräften aneignen, wird es uns lieb und wert.


Lebhaft vordringende Geister begnügen sich nicht mit dem Genüsse, sie verlangen Kenntnis. Diese treibt sie zur Selbsttätigkeit, und wie es ihr nun auch gelingen möge, so fühlt man zuletzt, daß man nichts richtig beurteilt, als was man selbst hervorbringen kann. Doch hierüber kommt der Mensch nicht leicht ins klare, und daraus entstehen gewisse falsche Bestrebungen, welche um so ängstlicher werden, je redlicher und reiner die Absicht ist.


Es ist so schwer, ein großes Talent zu fassen, geschweige denn zwei zugleich. Wir erleichtern uns dies durch Parteilichkeit, weshalb dann die Schätzung von Künstlern und Schriftstellern immer schwankt und einer oder der andere immer ausschließlich den Tag beherrscht.
Eigentlich lernen wir nur von Büchern, die wir nicht beurteilen können. Der Autor eines Buches, das wir beurteilen könnten, müßte von uns lernen.
Gehalt ohne Methode führt zur Schwärmerei, Methode ohne Gehalt zum leeren Klügeln; Stoff ohne Form zum beschwerlichen Wissen, Form ohne Stoff zu einem hohlen Wähnen.


Man mag zugunsten einer schriftlichen und mündlichen Überlieferung sagen, was man will, in den wenigsten Fällen ist sie hinreichend; denn den eigentlichen Charakter irgendeines Wesens kann sie doch nicht mitteilen, selbst nicht in geistigen Dingen. Hat man aber erst einen sicheren Blick getan, dann mag man gern lesen und hören, denn das schließt sich an den lebendigen Eindruck, nun kann man denken und beurteilen.


Philosophie, wenn sie fürs Leben Bedeutsamkeit gewinnen will, muß geliebt und gelebt werden.


Jedes Wissen fordert ein zweites, ein drittes und immer so fort, wir mögen den Baum in seinen Wurzeln oder in seinen Ästen und Zweigen verfolgen, eins ergibt sich immer aus dem andern, und je lebendiger irgendein Wissen in uns wird, desto mehr sehen wir uns getrieben, es in seinem Zusammenhang auf- und abwärts zu verfolgen.


Man sagt von dem menschlichen Herzen, es sei ein trotziges und verzagtes Wesen. Von dem menschlichen Geiste darf man wohl Ähnliches prädizieren. Er ist ungeduldig und anmaßlich und zugleich unsicher und zaghaft. Er strebt nach Erfahrung und in ihr nach einer erweiterten reineren Tätigkeit, und dann bebt er wieder davor zurück, und zwar nicht mit Unrecht. Wie er vorschreitet, fühlt er immer mehr, wie er bedingt sei, daß er verlieren müsse, indem er gewinnt, denn ans Wahre wie ans Falsche sind notwendige Bedingungen des Daseins gebunden.


Wer sich in ein Wissen einlassen soll, muß betrogen werden oder sich selbst betrügen, wenn nicht äußere Nötigung ihn bestimmt. Wer würde Arzt werden, wenn er alle Unbilden auf einmal vor sich sähe, die seiner warten?


Eine Wissenschaft ist, wie jede menschliche Anstalt und Einrichtung, eine ungeheuere Kontignation von Wahrem und Falschem, von Freiwilligem und Notwendigem, von Gesundem und Krankhaftem; alles, was wir tagtäglich gewahr werden, dürfen wir am Ende doch nur als Symptome ansehen, die, wenn wir uns wahrhaft ausbilden wollen, auf ihre physiologischen und pathologischen Prinzipe zurückzuführen sind.


Des Denkers einziges Besitztum sind die Gedanken, die aus ihm selbst entspringen, und wie ein jedes Aperçu, das uns angehört, in unserer Natur ein besonderes Wohlbefinden verbreitet, so ist auch der Wunsch ganz natürlich, daß es andere als das unserige anerkennen, indem wir dadurch erst etwas zu werden scheinen. Daher werden die Streitigkeiten über die Priorität einer Entdeckung so lebhaft; recht genau besehen, sind es Streitigkeiten um die Existenz selbst.


Jeder Mensch muß nach seiner Weise denken, denn er findet auf seinem Weg immer ein Wahres oder eine Art von Wahrem, die ihm durchs Leben hilft; nur darf er sich nicht gehen lassen, er muß sich kontrollieren; der bloße nackte Instinkt geziemt nicht dem Menschen.


Die Natur hat immer recht, und die Fehler und Irrtümer sind immer des Menschen. Der Verstand reicht zu ihr nicht hinauf, der Mensch muß fähig sein, sich zur höchsten Vernunft zu erheben, um an die Gottheit zu rühren, die sich in Urphänomenen, physischen wie sittlichen, offenbart. Die Gottheit aber ist wirksam im Lebendigen, aber nicht im Toten, im Werdenden, aber nicht im Gewordenen. Der Verstand nutze das Erstarrte.


Eine jede Theorie, sie sei von welcher Art sie wolle, setzt eine Unterlage voraus, irgend etwas in der Erfahrung Gegebenes, welches man sich so gut als möglich zurechtlegen möchte. Von Aristoteles bis auf Kant muß man erst wissen, was diesen außerordentlichen Menschen zu schaffen machte, ehe man nur einigermaßen begreift, warum sie sich so viel Mühe gegeben.


Es bleibt entschieden wahr, was ich recht weiß, weiß ich eigentlich nur mir selbst; wie ich damit hervortrete, rückt mir sogleich Bedingung, Widerspruch, Verwirrung auf den Hals. Das Sicherste bleibt, daß wir alles, was in und an uns ist, in Tat zu verwandeln suchen, darüber mögen dann die anderen, wie sie wollen und können, reden und verhandeln.


Alles Opponieren geht aufs Negative hinaus, und das Negative ist nichts. Wenn ich das Schlechte schlecht nenne, was ist da viel gewonnen? Nenne ich aber das Gute schlecht, so ist viel geschadet. Wer recht wirken will, muß nie schelten, sich ums Verkehrte gar nicht bekümmern, sondern nur immer das Gute tun. Denn es kommt nicht darauf an, daß eingerissen, sondern daß etwas aufgebaut werde, woran die Menschheit reine Freude empfindet.


Jeder Forscher muß sich durchaus ansehen als einer, der zu einer Jury berufen ist. Er hat nur darauf zu achten, inwiefern der Vortrag vollständig sei und durch klare Belege auseinandergesetzt. Er faßt hiernach seine Überzeugung zusammen und gibt seine Stimme, es sei nun, daß seine Meinung mit der des Referenten übereintreffe oder nicht. Dabei bleibt er ebenso beruhigt, wenn ihm die Majorität beistimmt, als wenn er sich in der Minorität befindet; denn er hat das Seinige getan, er hat seine Überzeugung ausgesprochen, er ist nicht Herr über die Geister noch über die Gemüter.


Die Geschichte der Philosophie, der Wissenschaften, der Religion, alles zeigt, daß die Meinungen massenweise sich verbreiten, immer aber diejenige den Vorrang gewinnt, welche faßlicher, d. h. dem menschlichen Geiste in seinem gemeinen Zustand gemäß und bequem ist. Ja derjenige, der sich in höherem Sinne ausgebildet, kann immer voraussetzen, daß er die Majorität gegen sich habe.


Wer streiten will, muß sich hüten, bei dieser Gelegenheit Sachen zu sagen, die ihm niemand streitig macht.


Wer Maximen bestreiten will, sollte fähig sein, sie recht klar aufzustellen und innerhalb dieser Klarheit zu kämpfen, damit er nicht in den Fall gerate, mit selbstgeschaffenen Luftbildern zu fechten.


Die Dunkelheit gewisser Maximen ist nur relativ. Nicht alles ist dem Hörenden deutlich zu machen, was dem Ausübenden einleuchtet.


Nichts ist widerwärtiger als die Majorität, denn sie besteht aus wenigen kräftigen Vorgängern, aus Schelmen, die sich akkomodieren, aus Schwachen, die sich assimili