Aphorismen aus der Feder von Friedrich von Schiller.

Autor: Schiller, Johann Christoph Friedrich von (1759-1805)
Themenbereiche
Über Schiller

Ein Held und Heiliger starb,
Uns im Leben und Tod ein Beispiel trefflichen Mutes.
Goethe


Ein Werk von Ihnen wirkte mehr auf mich als die wiederholten Ermahnungen und Belehrungen anderer. Es zündete tausend andere Funken in mir und ward mir nützlicher und hilfreicher zu meiner Bildung und Denkungsart als die gründlichsten Deduktionen und Beweisgründe.
Novalis (an Schiller)


Dieser heilige Mann! Immer hat das Schicksal ihm geflucht, und immer hat Schiller gesegnet.
Hebbel


Der Zug nach Größe hat ihn gehoben und ist in jedem seiner Worte lebendig geworden; denn jedes trägt den unnachahmlichen Stempel der Größe.
Kuno Fischer



Beitrag im Online Magazin Mein MV: Friedrich Schiller auf den Pfaden russischer Legenden von Prof. Dr. Galina Khotinskaya-Kallis



Aphorismen

Der Schlaf versiegelt gleichsam das Auge des Kummers, nimmt dem Fürsten und Staatsmann die schwere Bürde der Regierung ab, gießt Lebenskraft in die Adern des Kranken und Ruhe in seine zerrissene Seele. Auch der Tagelöhner hört die Stimme des Drängers nicht mehr, und das mißhandelte Vieh entflieht den Tyranneien der Menschen. Alle Sorgen und Lasten der Geschöpfe begräbt der Schlaf, setzt alles ins Gleichgewicht, rüstet jeden mit neugeborenen Kräften aus, die Freuden und Leiden des kommenden Tages zu ertragen.


Alle Anstalten, die wir in der sittlichen und körperlichen Welt zur Vollkommenheit des Menschen wahrnehmen, scheinen sich zuletzt in dem Elementarsatz zu vereinigen: Vollkommenheit des Menschen liegt in der Übung seiner Kräfte durch Betrachtung des Weltplans, und da zwischen dem Maße der Kraft und dem Zweck, auf den sie wirkt, die genaueste Harmonie sein muß, so wird Vollkommenheit in der höchstmöglichen Tätigkeit seiner Kräfte und ihrer wechselseitigen Unterordnung bestehen.


Es ist dem Menschen einmal eigen, das Höchste und das Niedrigste in seiner Natur zu vereinigen, und wenn seine Würde auf einer strengen Unterscheidung des einen von dem anderen beruht, so beruht auf einer geschickten Aufhebung dieses Unterschiedes seine Glückseligkeit.


Mögen noch so viele Eiferer und ungedungene Prediger der Wahrheit von ihren Wolken herunterrufen: Der Mensch neigt sich ursprünglich zum Verderblichen, ich glaube es nicht; ich denke vielmehr überzeugt zu sein, daß der Zustand des moralischen Übels im Gemüt eines Menschen ein schlechterdings gewaltsamer Zustand sei, welchen zu erreichen zuvörderst das Gleichgewicht der ganzen Organisation, wenn ich so sagen darf, aufgehoben sein muß, ehe die Natur einem Fieber oder Konvulsionen Raum gibt.


Das moralische Wesen ist in sich selbst vollendet und beschlossen wie das, welches wir zum Unterschiede davon das organische nennen, beschlossen durch seine Moralität wie dieses durch seinen Bau, und diese Moralität ist eine Beziehung, die von dem, was außer ihm vorgeht, durchaus unabhängig ist.


Ein reger Geist verschafft sich auf alle körperlichen Bewegungen Einfluß und kommt zuletzt mittelbar dahin, auch selbst die festen Formen der Natur, die dem Willen unerreichbar sind, durch die Macht des sympathetischen Spiels zu verändern. An einem solchen Menschen wird endlich alles Charakterzug, wie wir auch an manchen Köpfen finden, die ein langes Leben, außerordentliche Schicksale und ein tätiger Geist völlig durchgearbeitet haben. Der plastischen Natur gehört an solchen Formen nur das Generische, die ganze Individualität der Ausführung aber der Person an; daher sagt man sehr richtig, daß an einer solchen Gestalt alles Seele sei.


Jeder individuelle Mensch, kann man sagen, trägt der Anlage und Bestimmung nach einen rein idealischen Menschen in sich, mit dessen unveränderlicher Einheit in allen seinen Abwechslungen übereinzustimmen die große Aufgabe seines Daseins ist.


Nur einem Herzen, welches alle Künstelei überhaupt und mithin auch da, wo sie nützt, verabscheut, erlauben wir, sich da, wo sie drückt und einschränkt, davon loszusprechen; nur einem Herzen, welches sich allen Fesseln der Natur unterwirft, erlauben wir, von den Freiheiten derselben Gebrauch zu machen.


Nur dem schönen Herzen ist es verliehen, unabhängig von dem schönen Gegenstand seines Wirkens in jeder seiner Äußerung ein vollendetes Bild von sich selbst abzuprägen. Der erhabene Charakter kann sich nur in einzelnen Siegen über den Widerstand der Sinne, nur in gewissen Momenten des Schwunges und einer augenblicklichen Anstrengung kundtun; in der schönen Seele hingegen wirkt das Ideale der Natur, also gleichförmig und kann mithin auch in einem Zustand der Ruhe sich zeigen. Das tiefe Meer scheint am erhabensten in seiner Bewegung, der klare Bach am schönsten in seinem ruhigen Lauf.


Alle Geister werden angezogen von Vollkommenheit, alle; es gibt hier Verirrungen, aber keine einzige Ausnahme; alle streben nach dem Zustande der höchsten freien Äußerung ihrer Kräfte; alle besitzen den gemeinschaftlichen Trieb, ihre Tätigkeit auszudehnen, alles an sich zu ziehen, in sich zu versammeln, sich eigen zu machen, was sie als gut, als vortrefflich, als reizend erkennen. Anschauung des Schönen, des Wahren, des Vortrefflichen ist augenblickliche Besitznahme dieser Eigenschaften. Welchen Zustand wir wahrnehmen, in diesen treten wir selbst. In dem Augenblick, wo wir sie uns denken, sind wir Eigentümer einer Tugend, Urheber einer Handlung, Erfindung einer Wahrheit, Inhaber einer Glückseligkeit, wir selber werden das empfundene Objekt.


Der weltregierenden Macht ist kein einzelner Mann unersetzlich.


Ein Gemüt, welches sich soweit veredelt hat, um mehr von den Formen als von dem Stoff der Dinge gerührt zu werden und ohne alle Rücksicht auf Besitz, aus der bloßen Reflexion über die Erscheinungsweise ein freies Wohlgefallen zu schöpfen, ein solches Gemüt trägt in sich selbst eine innere, unverlierbare Fülle des Lebens, und weil es nicht nötig hat, sich die Gegenstände zuzueignen, in denen es lebt, so ist es auch nicht in Gefahr, derselben beraubt zu werden.


Unser Gefühl für Natur gleicht der Empfindung des Kranken für die Gesundheit.


Unsere Kindheit ist die einzige unverstümmelte Natur, die wir in der kultivierten Menschheit noch antreffen, daher es kein Wunder ist, wenn uns jede Fußtapfe der Natur außer uns auf unsere Kindheit zurückführt.


Unter einem glücklichen Himmel in den einfachen Verhältnissen des ersten Standes, bei einem beschränkten Wissen wird die Natur leicht befriedigt, und der Mensch verwildert nicht eher, als bis das Bedürfnis ihn ängstigt. Alle Völker, die eine Geschichte haben, haben ein Paradies, einen Stand der Unschuld, ein goldenes Alter, ja jeder einzelne Mensch hat sein Paradies, dessen er sich, je nachdem er mehr oder weniger Poetisches in seiner Natur hat, mit mehr oder weniger Begeisterung erinnert.


Im Gewebe unseres Lebens spielen Zufall und Plan eine gleichgroße Rolle; den letzten lenken wir, dem ersteren müssen wir uns blind unterwerfen. Gewinn genug, wenn unausbleibliche Verhängnisse uns nicht ganz ohne Fassung finden, wenn unser Mut, unsere Klugheit sich einst schon in Ähnlichem übte und unser Herz zu dem Schlage sich gehärtet hat.


Soll ich darum das Veilchen unter die Füße treten, weil ich die Rose nicht erlangen kann? Oder soll ich diesen Maientag verlieren, weil ein Gewitter ihn verfinstern kann? Ich schöpfe Heiterkeit unter der wolkenlosen Bläue, die mir hernach seine stürmische Langeweile verkürzt. Soll ich die Blume nicht brechen, weil sie morgen nicht mehr riechen wird? Ich werfe sie weg, wenn sie welk ist und pflücke ihre junge Schwester, die schon reizend aus der Knospe bricht.


Es gibt Augenblicke im Leben, wo wir aufgelegt sind, jede Blume und jedes entlegene Gestirn, jeden Wurm und jeden geahnten höheren Geist an den Busen zu drücken – ein Umarmen der ganzen Natur gleich unserer Geliebten. Der Mensch, der es so weit gebracht hat, alle Schönheit, Größe, Vortrefflichkeit im kleinen und großen der Natur aufzulesen und zu dieser Mannigfaltigkeit die große Einheit zu finden, ist der Gottheit schon sehr viel näher gerückt. Die ganze Schöpfung zerfließt in seine Persönlichkeit. Wenn jeder Mensch alle Menschen liebte, so besäße jeder einzelne die Welt.


Es ist tragisch, wie ein schönes Gemüt oft durch die menschlichste Empfindung in ein unglückliches Verhältnis verwickelt wird, erhebend, wie sich da, wo man nur Verderbliches säte, ein schönes Leben bildet.


Wie oft tut die Mäßigkeit eines Vaters, der längst nicht mehr ist, an einem genievollen Sohne Wunder, wie oft ward ein ganzes Leben vielleicht nur gelebt, um eine Grabschrift zu verdienen, die in die Seele eines späten Nachkömmlings einen Feuerstrahl werfen soll. Weil vor Jahrhunderten ein verscheuchter Vogel auf seinem Fluge einige Samenkörner da niederfallen ließ, blüht für ein landendes Volk auf einem Eilande eine Ernte, und ein moralischer Keim ging in einem so fruchtbaren Erdreich verloren.


Hunderttausend arbeitsame Hände trugen die Steine zu den Pyramiden zusammen, aber nicht die Pyramide war ihr Lohn. Die Pyramide ergötzte das Auge der Könige, und die fleißigen Sklaven fand man mit dem Lebensunterhalt ab. Was ist man dem Arbeiter schuldig, wenn er nicht mehr arbeiten kann oder nichts mehr für ihn zu arbeiten sein wird? Was dem Menschen, wenn er nicht mehr zu brauchen ist?


Es ist gar nichts Ungewöhnliches, daß man mit der Ausführung einer Sache anfängt und mit der Frage, ob sie denn auch wohl möglich sei, endigt.


Es ist ja unser eigener Zustand, wenn wir einen fremden empfinden.


Liebe, das schönste Phänomen in der beseelten Schöpfung, der allmächtige Magnet in der Geisterwelt, die Quelle der Andacht und der erhabensten Tugend, Liebe ist nur der Widerschein einer einzigen Kraft, eine Anziehung des Vortrefflichen, gegründet auf einem augenblicklichen Tausch der Persönlichkeit, eine Verwechslung der Wesen. Wenn ich hasse, so nehme ich mir etwas, wenn ich liebe, so werde ich um das reicher, was ich liebe. Verzeihung ist das Wiederfinden eines veräußerten Eigentums, Menschenhaß ein verlängerter Selbstmord, Egoismus die höchste Armut eines erschaffenen Wesens.


Die Liebe allein ist eine freie Empfindung, denn ihre reine Quelle strömt hervor aus dem Sitz der Freiheit und unserer göttlichen Natur. Es ist hier nicht das Kleine und Niedrige, was sich mit dem Großen und Hohen mißt, nicht der Sinn, der an dem Vernunftgesetz schwindelnd hinaufsieht; es ist das absolut Große selbst, was in der Armut und Schönheit sich nachgeahmt und in der Sittlichkeit sich befriedigt findet; es ist der Gesetzgeber selbst, der Gott in uns, der mit seinem eigenen Bilde in der Sinnenwelt spielt.


Ein Mädchen hat immer zwei Spiegel zugleich, den wahren und ihren Bewunderer. Die gefällige Geschmeidigkeit des letzteren macht die rauhe Offenherzigkeit des ersteren wieder gut. Der eine rügt die häßliche Blatternarbe. Weit gefehlt, sagt der andere, es ist ein Grübchen der Grazien. Ihr guten Kinder, glaubt jenem nur; was euch dieser gesagt hat, hüpft von einem zum andern, bis ihr zuletzt die Aussagen verwechselt.


Nach nichts ringt die weibliche Gefallsucht so sehr als nach dem Schein des Naiven, Beweis genug, wenn man auch sonst keinen hätte, daß die größte Macht des Geschlechts auf dieser Eigenschaft beruht. Weil aber die herrschenden Grundsätze bei der weiblichen Erziehung mit diesem Charakter im ewigen Streit liegen, so ist es der Frau im Moralischen ebenso schwer als dem Mann im Intellektuellen, mit den Vorteilen der guten Erziehung jenes herrliche Geschenk der Natur unverloren zu behalten, und die Frau, die mit einem geschickten Betragen für die große Welt dieses Naive der Sitten verknüpft, ist ebenso hochachtungswürdig als der Gelehrte, der mit der ganzen Strenge der Schule genialische Freiheit des Denkens verbindet.


Wir gelangen nur selten anders als durch Extreme zur Wahrheit; wir müssen den Irrtum und oft den Unsinn zuvor erschöpfen, ehe wir uns zu dem schönen Ziele der ruhigen Weisheit hinaufarbeiten.


Noch so viele Freunde der Wahrheit mögen zusammenstehen, ihren Mitbürgern auf Kanzel und Schaubühne Schule zu halten, der Pöbel hört nie auf, Pöbel zu sein, und wenn Sonne und Mond sich wandeln und Himmel und Erde veralten wie ein Kleid.


Jede Fertigkeit der Vernunft, auch im Irrtum, vermehrt ihre Fertigkeit zur Empfängnis der Wahrheit.


Wenn die Geschichte reich an Beispielen ist, daß man für Meinungen alles Irdische hintansetzen kann, wenn man dem grundlosesten Wahne die Kraft beilegt, die Gemüter der Menschen auf einen solchen Grad einzunehmen, daß sie allen Aufopferungen fähig gemacht werden, so wäre es sonderbar, der Wahrheit diese Kraft abzustreiten.


Wer sich über die Wirklichkeit nicht hinauswagt, der wird nie die Wahrheit erobern.


Die Vernunft hat geleistet, was sie leisten kann, wenn sie das Gesetz findet und aufstellt; vollstrecken muß es der mutige Wille und das lebendige Gefühl. Wenn die Wahrheit im Streite mit Kräften den Sieg erhalten soll, so muß sie selbst erst zur Kraft werden und zu ihrem Sachführer im Reich der Erscheinungen einen Trieb aufstellen; denn Triebe sind die einzigen bewegenden Kräfte in der empfindenden Welt. Hat sie bis jetzt ihre siegende Kraft noch so wenig erwiesen, so liegt dies nicht an dem Verstande, der sie nicht zu entschleiern wußte, sondern an dem Herzen, das sich ihr verschloß und an dem Triebe, der nicht für sie handelte.


Der Geist besitzt nichts, als was er tut.


Wie der Scheidekünstler. so findet auch der Philosoph nur durch Auflösung der Verbindung und nur durch die Marter der Kunst das Werk der freiwilligen Natur. Um die flüchtige Erscheinung zu haschen, muß er sie in die Fessel der Regel schlagen, ihren schönen Körper in Begriffe zerfleischen und in einem dürftigen Wortgerippe ihren lebendigen Geist aufbewahren. Ist es ein Wunder, wenn sich das natürliche Gefühl in einem solchen Abbild nicht wiederfindet und die Wahrheit in dem Berichte des Analysten als ein Paradoxon erscheint?


Sobald es Licht wird in dem Menschen, ist auch außer ihm keine Nacht mehr; sobald es stille wird in ihm, legt sich auch der Sturm in dem Weltall, und die streitenden Kräfte der Natur finden Ruhe zwischen bleibenden Grenzen.


Größe für sich allein kann wohl Bewunderung und Schrecken, aber nur die legale Größe Ehrfurcht und Unterwerfung erzwingen.


Es ist ein gewöhnliches Vorurteil, die Größe des Menschen nach dem Stoffe zu schätzen, womit er sich beschäftigt, nicht nach der Art, wie er ihn bearbeitet. Aber ein höheres Wesen ehrt gewiß das Gepräge der Vollendung auch in der kleinsten Sphäre, wenn es dagegen auf die eitlen Versuche, mit Insektenblicken das Weltall zu überschauen, mitleidig herabsieht.


Wer etwas Großes leisten will, muß tief eindringen, scharf unterscheiden, vielseitig verbinden und standhaft beharren. Selbst der Künstler und Dichter, obgleich beide nur für das Wohlgefallen bei der Betrachtung arbeiten, können nur durch ein anstrengendes und nichts weniger als reizendes Studium dahin gelangen, daß ihre Werke uns spielend ergötzen.


Jeden, ohne Unterschied, reizt der nahe Gewinn, aber nur große Seelen wird das entfernte Gut bewegen.


Es gilt die Maxime, da, wo der natürliche Lauf der Dinge zu einem vollkommenen Erklärungsgrunde hinreicht, die Würde der menschlichen Natur durch keine moralische Beschuldigung zu entehren.


Ein Mensch, dessen Verstandeskräfte in einem hohen Grade tätig sind, wird ebenso gewiß auch ein vortreffliches Herz besitzen, als er das, was er an sich selbst liebt, an einem anderen nicht hassen kann. Wenn die Erfahrung dagegen zu streiten scheint, so hat man entweder zu freigebig von seinem Verstande oder von moralischer Güte zu eingeschränkt geurteilt. Ein großer Geist mit einem empfindenden Herzen steht in der Ordnung der Wesen ebenso hoch über dem geistreichen Bösewicht, als der Dummkopf mit einem weichen, man sagt besser, weichlichen Herzen unter diesem steht.


Gemein ist alles, was nicht zu dem Geiste spricht und kein anderes als ein sinnliches Interesse erregt. Es gibt zwar tausend Dinge, die schon durch ihren Stoff oder Inhalt gemein sind, aber weil das Gemeine des Stoffes durch die Behandlung veredelt werden kann, so ist in der Kunst nur vom Gemeinen in der Form die Rede. Ein gemeiner Kopf wird den edelsten Stoff durch eine gemeine Behandlung verunehren, ein großer Kopf und ein edler Geist hingegen werden selbst das Gemeine zu adeln wissen, und zwar dadurch, daß er es an etwas Geistiges anknüpft und eine große Seite daran entdeckt.


Naiv muß jedes wahre Genie sein, oder es ist keines. Seine Naivetät allein macht es zum Genie, und was es im Intellektuellen und Ästhetischen ist, kann es im Moralischen nicht verleugnen. Unbekannt wie den Regeln, den Krücken der Schwachheit und den Zuchtmeistern der Verkehrtheit, bloß von der Natur oder dem Instinkt, seinem schützenden Engel geleitet, geht es ruhig und sicher durch alle Schlingen des falschen Geschmacks, in welchem, wenn es nicht so klug ist, sie schon von weitem zu vermeiden, das Nichtgenie unausbleiblich verstrickt wird. Nur dem Genie ist es gegeben, außerhalb des Bekannten noch immer zu Hause zu sein und die Natur zu erweitern, ohne über sie hinauszugehen. Zwar begegnet letzteres zuweilen auch den größten Genies, aber nur weil auch diese ihre phantastischen Augenblicke haben, wo die schützende Natur sie verläßt, weil die Macht des Beispiels sie hinreißt oder der verdorbene Geschmack ihrer Zeit sie verleitet.


Der Mensch ist nicht dazu bestimmt, einzelne sittliche Handlungen zu verrichten, sondern ein sittliches Wesen zu sein. Nicht Tugenden, sondern die Tugend ist seine Vorschrift, und Tugend ist nichts anderes als eine Neigung zu der Pflicht.


Der Widerstand allein kann die Kraft sichtbar machen. Aus diesem folgt, daß das höchste Bewußtsein unserer moralischen Natur nur in einem gewaltsamen Zustande, im Kampfe erhalten werden kann und daß das höchste moralische Vergnügen jederzeit von Schmerz begleitet sein wird.
Die Tugend handelt groß um des Gesetzes willen, die Schwärmerei um ihres Ideales willen, die Liebe um des Gegenstandes willen. Aus der ersten Klasse wollen wir uns Gesetzgeber, Richter, Könige, aus der zweiten Helden, aber nur aus der dritten unseren Freund erwählen. Diese erste verehren, die zweite bewundern, die dritte lieben wir.


Es ist was Gemeines, daß Menschen fallen und Paradiese verloren werden; aber wenn die Pest unter Engeln wütet, so rufe man Trauer aus durch die ganze Natur.


Unterliegt nicht der bessere Mann, wenn man sich gegen ihn alles, selbst Treulosigkeiten erlaubt, welche sich zu denken er unfähig ist, mit größerem Ruhm, als wenn er solchen Schlingen entgangen wäre?


Laßt uns Vortrefflichkeit einsehen, so wird sie unser. Laßt uns vertraut werden mit der hohen idealischen Einheit, so werden wir uns mit Bruderliebe anschließen aneinander. Laßt uns Schönheit und Freude pflanzen, so ernten wir Schönheit und Freude. Laßt uns hell denken, so werden wir feurig lieben. Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist, sagt der Stifter unseres Glaubens. Die schwache Menschheit erblaßte bei diesem Gebote; darum erklärte er sich deutlicher: Liebet euch untereinander.


Jedem Verdienst ist eine Bahn zur Unsterblichkeit aufgetan, zu der wahren Unsterblichkeit meine ich, wo die Tat lebt und weiter eilt, wenn der Name ihres Urhebers hinter ihr zurückbleiben sollte.


Erhabene Gesinnung ist das Los starker und philosophischer Gemüter, die durch fortgesetzte Arbeit an sich selbst den eigennützigen Trieb unterjochen gelernt haben. Auch der schmerzhafteste Verlust führt sie nicht über eine Wehmut hinaus, mit der sich noch immer ein merklicher Grad des Vergnügens gatten kann. Sie, die allein fähig sind, sich von sich selbst zu trennen, genießen allein das Vorrecht, an sich selbst teilzunehmen und eigenes Leiden in dem milden Widerschein der Sympathie zu empfinden.


Was kümmert uns die Natur mit allen ihren Zwecken und Gesetzen, wenn sie durch ihre Zweckwidrigkeit eine Veranlassung wird, uns die moralische Zweckmäßigkeit in uns in ihrem vollsten Lichte zu zeigen? Die Erfahrung von der siegenden Macht des sittlichen Gesetzes, die wir bei diesem Anblick machen, ist ein so hohes, so wesentliches Gut, daß wir sogar versucht werden, uns mit dem Übel auszusöhnen, dem wir es zu verdanken haben. Übereinstimmung im Reich der Freiheit ergötzt uns unendlich mehr, als alle Widersprüche in der natürlichen Welt uns zu betrüben vermögen.


Es ist keine Kunst, über Gefühle Meister zu werden, die nur die Oberfläche der Seele leicht und flüchtig bestreichen; aber in einem Sturme, der die ganze sinnliche Natur aufregt, seine Gemütsfreiheit zu erhalten, dazu gehört ein Vermögen des Widerstandes, das über alle Naturmacht unendlich erhaben ist.


Nirgends, lehrt eine traurige Erfahrung, findet man die Leidenschaften und Laster der Menschen ausgelassener toben, nirgends mehr Elend wohnen als in den glücklichen Gegenden, welche die Natur zu Paradiesen bestimmte.


Jedem, auch dem Lasterhaften, ist gewissermaßen der Stempel des göttlichen Ebenbildes aufgedrückt, und vielleicht hat der große Bösewicht keinen so weiten Weg zum großen Rechtschaffenen als der kleine; denn die Moralität hält gleichen Gang mit den Kräften, und je weiter die Fähigkeit, desto weiter und ungeheurer ihre Verwirrung, desto imputabler ihre Verfälschung.


Es ist eine wahre Genugtuung in der historischen Beobachtung, daß gerade die entschiedensten Wegstücke des Lasters, wenngleich alle Verschlagenheit an ihnen sich müde gesonnen, die gereizteste Wildheit sie vollbracht und das furchtbarste Bollwerk gegen Verantwortlichkeit, der Thron selbst sie geschützt hatte, dennoch ihres Ziels verfehlt, oft die entgegengesetztesten Folgen herbeigezogen und den Tätern nichts als eine verdoppelte Verzweiflung des leeren Bestrebens und der nagenden Vorwürfe ihres inneren Richters bereitet haben.


Gesetze drehen sich nur um verneinende Pflichten; Religion dehnt ihre Forderungen auf wirkliches Handeln aus. Gesetze hemmen nur Wirkungen, die den Zusammenhang der Gesellschaft auflösen, Religion befiehlt solche, die ihn inniger machen. Jene herrschen nur über die offenbaren Äußerungen des Willens, nur Taten sind ihnen Untertan; diese setzt ihre Gerichtsbarkeit bis in die verborgensten Winkel des Herzens fort und verfolgt den Gedanken bis an die innerste Quelle. Gesetze sind glatt und geschmeidig, wandelbar wie Laune und Leidenschaft, Religion bindet streng und ewig.


Nur die unverletzbare Heiligkeit der Gesetze kann dem Bürger die Früchte seines Fleißes versichern und ihm jene Zuversicht einflößen, welche die Seele jeder Tätigkeit ist.


Es ist ein charakteristischer Zug der vernünftigen Freiheitsliebe, daß sie Geist und Herz weiter macht und im Denken wie im Handeln ihre Sphäre ausbreitet. Gegründet auf ein lebhaftes Gefühl der menschlichen Würde, kann sie Rechte, die sie an sich selbst respektiert, an anderen nicht gleichgültig zu Boden treten sehen.


Wenn die schimmernden Taten der Ruhmsucht und einer verderblichen Herrschbegierde auf unsere Bewunderung Anspruch machen, wieviel mehr eine Begebenheit, wo die bedrängte Menschheit um ihre edelsten Rechte ringt, wo mit der guten Sache ungewöhnliche Kräfte sich paaren und die Hilfsmittel entschlossener Verzweiflung über die furchtbaren Künste der Tyrannei im ungleichen Wettkampfe siegen.


Bescheidenes Mißtrauen zu sich selbst ist zwar immer das Kennzeichen des wahren Talents, aber auch der Mut steht ihm gut an, und so schön es ist, wenn der Besieger des Python den furchtbaren Bogen mit der Leier vertauscht, so einen großen Anblick gibt es, wenn Achill im Kreise thessalischer Jungfrauen sich zum Helden aufrichtet.


Zuversicht ist die Mutter großer Taten. Hätte Alexanders Ungestüm nicht am Granikus gesiegt, nimmer hatte dieser Eroberer das persische Reich zertrümmert.


Kein Mensch muß müssen, sagte der Jude Nathan zum Derwisch, und dieses Wort ist in einem weiteren Umfange wahr, als man demselben vielleicht einräumen möchte. Der Wille ist der Geschlechtscharakter des Menschen, und die Vernunft selbst ist nur die ewige Regel desselben. Vernünftig handelt die ganze Natur; sein Prärogativ ist bloß, daß er mit Bewußtsein und Willen vernünftig handelt. Alle anderen Dinge müssen; der Mensch ist das Wesen, welches will.


Die Kultur soll den Menschen in Freiheit setzen und ihm dazu behilflich sein, seinen ganzen Begriff zu erfüllen. Sie soll ihn also fähig machen, seinen Willen zu behaupten; denn der Mensch ist das Wesen, welches will.


Der Wille des Menschen ist ein erhabener Begriff, auch dann, wenn man auf seinen moralischen Gebrauch nicht achtet. Schon der bloße Wille erhebt den Menschen über die Tierheit, der moralische erhebt ihn zur Gottheit. Er muß aber jene zuvor verlassen, ehe er sich dieser nähern kann; daher ist es kein geringer Schritt zur moralischen Freiheit des Willens, durch Brechung der Naturnotwendigkeit in sich auch in gleichgültigen Dingen den bloßen Willen zu üben.


Nichts ist einem sittlichen Gemüt willkommener als nach einem langanhaltenden Zustand des bloßen Leidens aus der Dienstbarkeit der Sinne zur Selbsttätigkeit geweckt und in seine Freiheit wieder eingesetzt zu werden.


Wir halten jeder Leidenschaft ihren eigenen Henker und haben täglich irgendein unglückliches Opfer derselben zu beweinen. Jede Tugend findet bei uns ihren Lobredner, und wir scheinen sie über ihrer Bewunderung zu vergessen. Mich deucht, es verhalte sich damit wie mit den unterirdischen Schätzen in den Gespenstermärchen. Beschreit den Geist nicht, ist die ewige Bedingung des Beschwörers. Mit Stillschweigen erhebt man das Gold; ein Laut über die Zunge, und hinunter sinkt zehntausend Klafter die Kiste.


Solange die Weisheit bei ihrem Vorhaben auf Weisheit rechnet oder sich auf ihre eigenen Kräfte verläßt, entwirft sie keine andere als chimärische Pläne, und die Weisheit läuft Gefahr, sich zum Gelächter der Welt zu machen; aber ein glücklicher Erfolg ist ihr gewiß, und sie kann auf Beifall und Bewunderung zahlen, wenn sie in ihren geistreichen Plänen eine Rolle für Barbarei und Aberglaube hat und die Umstände ihr vergönnen, eigennützige Leidenschaften zu Vollstreckern ihrer schönsten Zwecke zu machen.


Es ist ein Kennzeichen guter und schöner, aber jederzeit schwacher Seelen, immer ungeduldig auf Existenz ihrer moralischen Ideale zu dringen und von den Hindernissen derselben schmerzlich gerührt zu werden. Solche Menschen setzen sich in eine traurige Abhängigkeit von dem Zufall, und es ist immer mit Sicherheit vorherzusagen, daß sie der Materie in moralischen und ästhetischen Dingen zu viel einräumen und die höchste Charakter- und Geschmacksprobe nicht bestehen werden. Das moralisch Fehlerhafte soll uns nicht Leiden und Schmerz einflößen, welches immer mehr von einem unbefriedigten Bedürfnis als von einer unerfüllten Forderung zeugt. Diese muß einen rüstigeren Affekt zum Begleiter haben und das Gemüt eher starken und in seiner Kraft befestigen als kleinmütig und unglücklich machen.


Arglist und Klugheit, welch ein ungleiches Schwesternpaar! Indem diese dem erlaubten Zweck auf Pfaden sich nähert, die von der Rechtschaffenheit gesichert werden, krümmt sich jene auf tauschenden Irrwegen zu Zielen fort, welche sie nie oder nur zu eigener Schande erreicht.


Das schwache Insekt streckt seine regen Fühlhörner immer nach allen Ecken, und die Furcht rettet es vor tausend Gefahren. So wird Klugheit durch Furchtsamkeit zur Schlauheit, die selten berückt worden zu sein sich rühmen kann, aber auch nie mit Größe gehandelt zu haben bekennen muß, weil sie alles für eine Schlinge anzusehen pflegte.


Es ist ein anziehendes Schauspiel, den menschlichen Erfindungsgeist mit einem mächtigen Element im Kampfe zu erblicken und Schwierigkeiten, welche gemeinen Fähigkeiten unübersteiglich sind, durch Klugheit, Entschlossenheit und einen standhaften Willen besiegt zu sehen. Weniger anziehend, aber desto belehrender ist das Schauspiel des Gegenteils, wo der Mangel jener Eigenschaften alle Anstrengungen des Genies vereitelt, alle Gunst der Zufälle fruchtlos macht und, weil er ihn nicht zu benutzen weiß, einen schon entschiedenen Erfolg vernichtet.


Menschen, die das Glück mit einem Lohn überraschte, zu welchem sie keinen natürlichen Grund in ihren Handlungen finden, werden leicht versucht, den notwendigen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung überhaupt zu verlernen und in die natürliche Folge der Dinge jene höhere Wunderkraft einzuschalten, der sie endlich tolldreist, wie Cäsar seinem Glück, vertrauen.


Durch die Schönheit wird der sinnliche Mensch zur Form und zum Denken geleitet; durch die Schönheit wird der geistige Mensch zur Materie zurückgeführt und der Sinnenwelt wiedergegeben.


Das Erhabene wird durch poetische Verblümung nie erhabener, aber die Empfindung wird dadurch verdächtiger.


Nach der verkehrten Denkart der Menschen, die, was nach keiner Vorschrift nachzuahmen und durch kein Verdienst zu erringen ist, gerade am höchsten schätzen, wird die Schönheit mehr als der Reiz, das Genie mehr als erworbene Kraft des Geistes bewundert. Beide Günstlinge der Natur werden bei allen ihren Unarten, wodurch sie nicht selten ein Gegenstand verdienter Verachtung sind, als ein gewisser Geburtsadel, als eine höhere Kaste betrachtet, weil ihre Vorzüge von Naturbedingungen abhängig sind und daher über alle Wahl hinaus liegen.


Anmut und Würde stehen in einem so hohen Wert, um die Eitelkeit und Torheit nicht zur Nachahmung zu reizen. Aber es gibt dazu nur einen Weg, nämlich Nachahmung der Gesinnung, deren Ausdruck sie sind. Alles andere ist Nachäffung und wird sich als solche durch Übertreibung bald bemerklich machen. So wie aus der Affektion des Erhabenen Schwulst, aus der Affektion des Edlen das Kostbare entsteht, so wird aus der affektierten Anmut Ziererei und aus der affektierten Würde steife Feierlichkeit und Gravität.


Man muß einen Fehler mit Anmut rügen und mit Würde bekennen. Kehrt man es um, so wird es das Ansehen haben, als ob der eine Teil seinen Vorteil zu sehr, der andere seinen Nachteil zu wenig empfände.


Man lacht über den Komödianten, wessen Standes und Würden er auch sei, der auch bei gleichgültigen Verrichtungen eine gewisse Dignität affektiert. Man verachtet die kleine Seele, die sich für die Ausübung einer gemeinen Pflicht, die oft nur Unterlassung von Niederträchtigkeit ist, mit Würde bezahlt macht.


Anmut ist eine Schönheit, die nicht von der Natur gegeben, sondern von dem Subjekte selbst hervorgebracht wird.


Anmut liegt in der Freiheit der willkürlichen Bewegungen, Würde in der Beherrschung der unwillkürlichen. Die Anmut läßt der Natur da, wo sie die Befehle des Geistes ausrichtet, einen Schein von Freiwilligkeit; die Würde hingegen unterwirft sie da, wo sie herrschen will, dem Geist.


Sobald wir merken, daß Anmut erkünstelt ist, schließt sich plötzlich unser Herz, und zurück flieht die ihr entgegenwallende Seele. Aus Geist sehen wir plötzlich Materie geworden und ein Wolkenbild aus einer himmlischen Juno.


Die Schönheit hat Anbeter, Liebhaber hat nur die Grazie; denn wir huldigen dem Schöpfer und lieben den Menschen.


Die Würde hindert, daß die Liebe nicht zur Begierde wird. Die Anmut verhütet, daß die Achtung nicht Furcht wird. Wahre Schönheit, wahre Anmut soll niemals Begierde erregen. Wo diese sich einmischt, da muß es entweder dem Gegenstand an Würde oder dem Betrachter an Sittlichkeit der Empfindungen mangeln. Wahre Größe soll niemals Furcht erregen. Wo diese eintritt, da kann man gewiß sein, daß es entweder dem Gegenstand an Geschmack und an Grazie oder dem Betrachter an einem günstigen Zeugnisse seines Gewissens fehlt.


Nur ein barbarischer Geschmack braucht den Stachel des Privatinteresses, um zu der Schönheit hingelockt zu werden, und nur der Stümper borgt von dem Stoffe eine Kraft, die er in die Form zu legen verzweifelt. Die Poesie soll ihren Weg nicht durch die kalte Region des Gedächtnisses nehmen, soll nie die Gelehrsamkeit zu ihrer Auslegerin, nie den Eigennutz zu ihrem Fürsprecher machen. Sie soll das Herz treffen, weil sie aus dem Herzen floß, und nicht auf den Staatsbürger in dem Menschen, sondern auf den Menschen in dem Staatsbürger zielen.


Das Interesse der Einbildungskraft ist, ihre Gegenstände nach Willkür zu wechseln; das Interesse des Verstandes ist, die seinigen mit strenger Notwendigkeit zu verknüpfen. So sehr diese beiden Interessen miteinander zu streiten scheinen, so gibt es doch zwischen beiden einen Punkt der Vereinigung, und diesen aufzufinden, ist das eigentliche Verdienst der schönen Schreibart.


Obgleich die Kunst unzertrennlich und eins ist und beide, Phantasie und Empfindung zu ihrer Hervorbringung tätig sein müssen, so gibt es doch Kunstwerke der Phantasie und Kunstwerke der Empfindung, je nachdem sie sich einem dieser beiden ästhetischen Pole vorzugsweise nähern; zu einer von beiden Klassen aber muß jedes künstliche und poetische Werk sich bekennen oder es hat gar keinen Kunstgehalt.


Die Menschheit hat ihre Würde verloren, aber die Kunst hat sie gerettet und aufbewahrt in bedeutenden Steinen; die Wahrheit lebt in der Täuschung fort, und aus dem Nachbild wird das Urbild wieder hergestellt werden. So wie die edle Kunst die edle Natur überlebte, so schreitet sie derselben auch in der Begeisterung bildend und erweckend voran. Ehe noch die Wahrheit ihr siegendes Licht in die Tiefen des Herzens sendet, fängt die Dichtungskraft ihre Strahlen auf, und die Gipfel der Menschheit werden glänzen, wenn noch feuchte Nacht in den Talern liegt.


Mit anspannendem Fleiße müssen wir die Vergnügungen des Verstandes, mit schmerzhaften Opfern die Billigkeit der Vernunft, die Freuden der Sinne durch harte Entbehrungen erkaufen oder das Übermaß derselben durch eine Kette von Leiden büßen; die Kunst allein gewahrt uns Genüsse, die nicht erst abverdient werden dürfen, die kein Opfer kosten, die durch keine Reue erkauft werden.


Es ist niemals der Stoff, sondern bloß die Behandlungsweise, was den Künstler und Dichter macht; ein Hausgeräte und eine moralische Abhandlung können beide durch eine geschmackvolle Ausführung zu einem freien Kunstwerk gesteigert werden, und das Porträt eines Menschen wird in ungeschickten Händen zu einer gemeinen Manufaktur herabsinken.


Der Künstler ist der Sohn seiner Zeit; aber schlimm für ihn, wenn er zugleich ihr Zögling oder gar noch ihr Günstling ist.


Will uns der Dichter aus dem Gedränge der Welt in seine Einsamkeit nachziehen, so muß es nicht Bedürfnis der Abspannung, sondern der Anspannung, nicht Verlangen nach Ruhe, sondern nach Harmonie sein, was ihm die Kunst verleidet und die Natur liebenswürdig macht. Nicht weil die moralische Welt seinem theoretischen, sondern weil sie seinem praktischen Vermögen widerstreitet, muß er sich nach einem Tibur umsehen und zu der leblosen Schöpfung flüchten.


In Sachen der schönen Kunst wird die Möglichkeit nur durch die Tat bewiesen; aus Begriffen kann man höchstens voraus wissen, daß ein gegebenes Thema der künstlerischen Darstellung nicht widerstreitet.


Werke der Einbildungskraft haben das Eigentümliche, daß sie keinen müßigen Genuß zulassen, sondern den Geist des Beschauers zur Tätigkeit aufreizen. Das Kunstwerk führt auf die Kunst zurück, ja es bringt erst die Kunst in uns hervor.


Die Poesie kann dem Menschen werden, was dem Helden die Liebe ist. Sie kann ihm weder raten noch mit ihm schlagen, noch sonst eine Arbeit für ihn tun; aber zum Helden kann sie ihn rufen und zu allem, was er sein soll, ihn mit Stärke ausrüsten.


Der Dichter, auch wenn er die vollkommensten sittlichen Muster vor unsere Augen stellt, hat keinen anderen Zweck und darf keinen anderen haben, als uns durch Betrachtung derselben zu ergötzen. Nun kann uns aber nichts ergötzen, als was unser Subjekt verbessert, und nichts kann uns geistig ergötzen, als was unser geistiges Vermögen erhöht.


Kein geringer Gewinn wäre es für die Wahrheit, wenn bessere Schriftsteller sich herablassen möchten, den schlechten die Kunstgriffe abzusehen, wodurch sie sich den Leser erwerben und zum Vorteil der guten Sache davon Gebrauch zu machen.


Nur die heitere, die ruhige Seele gebiert das Vollkommene. Kampf mit äußeren Lagen und Hypochondrie, welche überhaupt jede Geisteskraft lähmen, dürfen am allerwenigsten das Gemüt des Dichters belasten, der sich von der Gegenwart loswickeln und frei und kühn in die Welt der Ideale emporstreben soll. Wenn es auch noch so sehr in seinem Busen stürmt, so müßte Sonnenklarheit seine Stirn umfließen.


So lange das Schauspielhaus weniger Schule als Zeitvertreib ist und mehr dazu gebraucht wird, die gähnende Langeweile zu beleben, unfreundliche Winternächte zu betrügen und das große Heer unserer süßen Müßiggänger mit dem Schauer der Weisheit, dem Papiergeld der Empfindung und galanten Zoten zu bereichern, so lange es mehr für die Toilette und die Schenke arbeitet, so lange mögen immer unsere Theaterschriftsteller der patriotischen Eitelkeit entsagen, Lehrer des Volkes zu sein. Bevor das Publikum für seine Bühne gebildet ist, dürfte wohl schwerlich die Bühne ihr Publikum bilden.


Die Geschichte, so oft nur auf das freudenlose Geschäft eingeschränkt, das einförmige Spiel der menschlichen Leidenschaft auseinander zu legen, sieht sich zuweilen durch Erscheinungen belohnt, die gleich einem kühnen Griff aus den Wolken in das berechnete Uhrwerk der menschlichen Unternehmungen fallen und den nachdenkenden Geist auf eine höhere Ordnung der Dinge verweisen.


Selbst in den alltäglichsten Verrichtungen des bürgerlichen Lebens können wir es nicht vermeiden, die Schuldner vergangener Jahrhunderte zu werden; die ungleichartigsten Perioden der Menschheit steuern zu unserer Kultur, wie die entlegensten Weltteile zu unserem Luxus. Die Kleider, die wir tragen, die Würze an unseren Speisen und der Preis, um den wir sie kaufen, viele unserer kräftigsten Heilmittel und ebensoviele neue Werkzeuge unseres Verderbens, setzen sie nicht einen Kolumbus voraus, der Amerika entdeckte, einen Vasco de Gama, der die Spitze von Afrika umschiffte?


Die Geschichte der Welt ist sich selbst gleich, wie die Gesetze der Natur, und einfach, wie die Seele des Menschen. Dieselben Bedingungen bringen dieselben Erscheinungen zurück.


Lebe mit deinem Jahrhundert, aber sei nicht sein Geschöpf; leiste deinen Zeitgenossen, aber was sie bedürfen, nicht was sie loben, ohne ihre Schuld geteilt zu haben; teile mit edler Resignation ihre Strafen und beuge dich mit Freiheit unter das Joch, das sie gleich schlecht entbehren und tragen. Durch den standhaften Mut, mit dem du ihr Glück verschmähst, wirst du ihnen beweisen, daß nicht deine Feigheit sie ihren Leiden unterwirft. Denke sie dir, wie sie sein sollten, wenn du auf sie zu wirken hast; aber denke sie dir, wie sie sind, wenn du für sie zu handeln versucht wirst.


Die Genügsamkeit des Publikums ist nur ermunternd für die Mittelmäßigkeit, aber beschimpfend und abschreckend für das Genie.

Schiller in Karlsbad, 1791. Zeichnung des befreundeten Malers J. Chr. Reinhard

Schiller in Karlsbad, 1791. Zeichnung des befreundeten Malers J. Chr. Reinhard