Altfreiheit und Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen - 2. Urkundliche Überlieferung über den Eintritt Freier in die Ministerialität

Aus: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
Autor: Wittich, W. (?-?) Straßburg, Erscheinungsjahr: 1906
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Gesellschaft, Wirtschaftsgeschichte, Sozialgeschichte, wirtschaftliche Zustände, Entwicklung, Nationalökonomie, Sozialwissenschaft, Demokratie, Wirtschaftspolitik, Dienstbarkeit, Klassen, Schichten, Adel, Arbeiterklasse, Wissenschaft, Mittelalter, Verkehrswege, Wikinger, Hanse, Hansa, Hansestädte, Schifffahrt, Hansebund, Handelsgesellschaften,
So wenig nun ein Zweifel über die Hörigkeit des Grundstocks der Dienstmannschaft bestehen kann, ebenso sicher ist, dass die Ministerialität des Hildesheimer Bischofs im Laufe des 12. Jahrhunderts und wohl auch schon in früherer Zeit durch Ergebung altfreier Geschlechter in das Dienstverhältnis einen sehr beträchtlichen Zuwachs erfahren hat. Über das quantitative Verhältnis dieses Zuwachses zum altministerialischen Grundstock soll erst später gesprochen werden. Wir müssen zunächst auf die bisher nur in ihren Hauptzügen bekannte Erscheinung als solche näher eingehen. Die positive Überlieferung ist sehr spärlich; immerhin geben die erhaltenen Urkunden ein ziemlich deutliches Bild des Vorgangs 14). Aus dem Gebiet des Bistums Hildesheim sind uns drei Ergebungen sicher bekannt 15), die des Freien Ekbert zu Großoldendorf bei Benstorf an den Bischof, die des Freien Bertold zu Meredorf' an das Kloster St. Godehard und die der drei Brüder von Lewe (Kreis Goslar) an Herzog Heinrich den Löwen. Die beiden erstgenannten Autotraditionen stammen aus der ersten Hälfte, die letztgenannte aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Wir sehen, dass sowohl einzelne Personen für sich als auch ganze Familien in die Dienstmannschaft eintreten konnten. Es konnte also ein Geschlecht gleichzeitig aus freien und dienstmännischen Mitgliedern bestehen. So ergibt sich der freie Mann Ekbert mit Zustimmung seines wohl frei bleibenden Bruders und Erben Wulderich mit allen seinen Erbgütern an die Kirche Hildesheim. Seine Erbgüter bestehen in 23 Hufen in Großoldendorf und Benstorf (Boccistorp der Urkunde), ferner in zwei Mühlen, einer großen Wiese und dem die Wiese umgebenden Wald. Sämtliche Güter erhält er zu Lehen zurück und außerdem vom Kirchengut die Zehnten in beiden Dörfern, drei Mühlen und drei Hufen mit drei Hörigen daselbst, weitere Güter in benachbarten Dörfern und endlich die Vogtei über den ganzen Besitz, alles ebenfalls als Lehen für sich und seine Erben. Ich habe den Inhalt dieser Urkunde ausführlich wiedergegeben, weil sie ein typisches Beispiel einer solchen Ergebungsurkunde darstellt und vor allem die Gründe für den Eintritt freier Herren in die Dienstmannschaft eines reichen Kirchenfürsten deutlich hervortreten lässt. Für die Hingabe von Person und Erbe erhält der neue Ministerial den Güterbestand des Erbes reich vermehrt, vielleicht verdoppelt als Hof- oder Ministerialenlehen wieder zurück. In späterer Zeit wurde wahrscheinlich nicht einmal die Aufgabe des Eigentumsrechts am Erbe mehr gefordert 15). Der Ministerial blieb, allerdings gewissen Beschränkungen unterworfener, Eigentümer seines Erbgutes und nahm nur die neu verliehenen Güter als Hoflehen 15). Auch aus dem 13. Jahrhundert sind uns noch verschiedene Ergebungen in die Ministerialität bekannt, jedoch scheint die Hauptmasse der Ergebungen in das 12. Jahrhundert zu fallen. Diese Annahme kann allerdings nicht aus der positiven Überlieferung geschöpft werden. Die wenigen uns erhaltenen Ergebungsurkunden verteilen sich ziemlich gleichmäßig auf das 12. und 13. Jahrhundert.

Eine ungleich reichere Quelle bilden die Standesbezeichnungen der in den Urkunden auftretenden oder erwähnten Personen 16). Besonders die Zeugenreihen am Schluss der Urkunden geben die wichtigsten Aufschlüsse, weil hier die Urkundspersonen regelmäßig in Geistliche, Freie und Ministerialen geschieden sind, und diese Trennung konsequent aufrechterhalten wird. Auch die Reihenfolge ist immer die gleiche, zuerst Geistliche, dann Freie und am Schluss die Ministerialen. In diesen Urkunden sehen wir nun zahlreiche Einzelpersonen und Familien in wechselnder Stellung auftreten. In den älteren Urkunden erscheinen sie unter den Freien oder werden ausdrücklich als solche bezeichnet, in den späteren Urkunden werden die gleichen Personen oder unzweifelhafte Mitglieder ihres Geschlechts als Ministerialen aufgeführt. Wenn die Identität der Person oder bei mehreren Personen die Gleichheit der Familie zu erweisen ist, so muss aus dem Wechsel der Standesbezeichnung auf den Eintritt der betreffenden Person oder Familie in die Ministerialität geschlossen werden. Ein solcher Eintritt konnte erfolgen durch Ergebung oder durch Geburt von einer ministerialischen Mutter 17). Den ersten Fall haben wir bereits erörtert, nicht minder wichtig aber ist der zweite Fall. Nach altem Hörigkeitsrecht folgt das Kind der Mutter, d. h. bei ungleichen Ehen kam die ganze Nachkommenschaft unter die Dienstmannschaft des Herrn der Mutter. Mochte ein Freier oder ein fremder Ministeriale eine Ministerialin des Hildesheimer Bischofs heiraten, die ganze Nachkommenschaft ging in die stiftische Dienstmannschaft über. So konnte eine ministerialische Heirat einen ganzen Zweig eines freien Geschlechts dienstmännisch machen 17a). Welche Art des Eintritts die meisten Freien der Dienstmannschaft zuführte, ob Ergebung oder Heirat, diese Frage ist natürlich schwer zu beantworten. Jedoch möchte ich annehmen, dass zuerst die Ergebungen vorherrschten, die Heiraten aber entsprechend dem schärfer ausgeprägten Standesunterschied seltener waren 18). In späterer Zeit, als die Ministerialität durch wachsenden Reichtum und Einfluss, besonders aber durch Aufnahme zahlreicher altfreier Geschlechter, nahezu eine soziale Gleichstellung mit den freien Rittern erlangt hatte, mögen die Heiraten Freier mit Töchtern reicher Ministerialen so häufig gewesen sein, dass die meisten Freiengeschlechter auf diesem Wege in die Dienstmannschaft eintraten. Für unsere Betrachtungen kommt der Unterschied des Übergangs nur wenig in Betracht. Dieser Übergang aus der Freiheit in die Ministerialität lässt sich nun bei etwa 32 stiftischen Dienstmannsgeschlechtern entweder bestimmt erweisen oder wenigstens sehr wahrscheinlich machen. Die bischöflichen Ministerialenfamilien, deren Altfreiheit auf diese Weise mit Sicherheit zu erweisen ist, sind die folgenden:

Lengede, Heere, Lewe, Cantelsheim, Dalem (in ihrer welfischen Abzweigung Vögte von Braunschweig genannt) Tidekesheim (Tidexen), Bornum-Eimessem, Saldern, Garbolzum, Rhüden, Heckenbeck, Holthusen (Wrisbergholzen), Flöthe, Mahner, Piscina (Dike), Werre (Wehre), Haringen, Burgdorf (ob bischöfliche?, sicher welfische Dienstleute), Schwanebeck.

Es sind im ganzen 19 Geschlechter. Höchst wahrscheinlich als altfrei zu bezeichnen sind die Dienstmannsgeschlechter:

Volkersem (Völksen), Ohlum-Hohenhameln, Vögte von Gandersheim, Rössing, Altenmarkt-Escherde, Merdorp, Geitelde, Dingelstedt, Bönnien, Hachem, Freden.

Weiterhin wäre dazuzurechnen die Familie von Schiltberg 20), die jedoch nur in der weffischen Ministerialität erscheint, und die Familie von Remstede (Reinstede) 20), deren Angehörige freie Lehnsleute der Bischöfe von Hildesheim waren. Jedoch scheint das letztere Geschlecht, dessen Stammsitz außerhalb des Stiftsgebietes lag, unter eine fremde Dienstherrschaft gekommen zu sein. Der Zeitpunkt, in dem diese Geschlechter in die Ministerialität eingetreten sind, lässt sich natürlich nur bei den wenigsten mit Sicherheit bestimmen. Während der hundert Jahre, vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts, fanden die Übertritte statt, die meisten wohl in der ersten Hälfte des Jahrhunderts. Obwohl die Zahl der so mit völliger oder annähernder Sicherheit als altfrei zu erweisenden Ministerialengeschlechter nicht klein ist, so lassen sich doch sicher längst nicht alle altfreien Ministerialengeschlechter auf diesem Wege als solche erweisen; denn der Nachweis der Altfreiheit hängt in der Hauptsache von der Erwähnung eines unzweifelhaft zur nachmaligen Dienstmannsfamilie gehörigen Mitgliedes unter der Zahl der Freien ab. Diese Erwähnung muss aber entsprechend der Beschaffenheit der überlieferten Nachrichten in der Regel in einer bischöflichen Urkunde stattfinden. Nun erscheinen die Freienfamilien nur dann als Zeugen bei Geschäften des Bischofs, wenn sie von ihm belehnt waren oder eine hervorragende Stellung innehatten 21). Diese Eigenschaften fehlten gerade den zahlreichen kleinen Freienfamilien, und daher werden diese in den älteren Urkunden überhaupt nicht aufgeführt. Erst nach ihrem Eintritt in die Dienstmannschaft erscheinen auch sie in den Zeugenreihen der bischöflichen Urkunden. Wir lernen sie daher nur als Ministerialen kennen, über ihre frühere Standeszugehörigkeit können wir nichts aussagen. Obwohl so die Überlieferung gerade für die Beantwortung der uns beschäftigenden Frage sehr ungünstig beschaffen ist, so lassen sich doch eine Reihe von Merkmalen feststellen, die die Altfreiheit zahlreicher, sonst nicht als frei erwähnter Dienstmannsfamilien ziemlich sicher erscheinen lassen. Zur Bestimmung dieser Merkmale müssen wir zunächst einen Blick auf die Verbreitung der Altfreiheit im Gebiete des Bistums etwa zu Ende des 12. Jahrhunderts werfen.

14) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 242 (ao. 1146): Ergebung des Freien Ekbert zu Großoldendorf bei Benstorf in die Ministerialität des Bischofs. Nr. 274 (ao. 1151 YIII. 16): Ergebung des Freien Bertold (wohl von Meredorp) zu Ministerialenrecht an das Kloster St. Godehard. Nr. 369 (ao. 1176): der Passus „Si vero aliqua de liberis bouis aliquo modo propria facta fuerint“ bezieht sich auch auf Ergebungen. II. Nr. 313 (ao. 1230—1240): der Graf von Woldenberg nimmt die Freie Jutta de Vlotede als ]Iinisterialin au. III. Nr. 81 (ao. 1264) : Ergebung des Freien Herbord an das Kloster Escherde. Nr. 1265 (ao. 1300 V. 10): Ergebung des nobilis von Meinersen in die Ministerialität des Hildesheimer Bischofs (Regest, ob richtig'?).
Anuales Stederburgenses (Pertz, Mouumenta Germaniae historica SS. Bd. XVI. p. 217), 12. Jahrhundert. Ergebung der Freienfamilie Lewe oder lewedhe an Heinrich den Löwen, später hildesheimische Ministerialen.
Beispiele aus benachbarten Gebieten.
Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt und seiner Bischöfe, ed. Schmidt 1883 I. Nr. 123 (ao. 1106): Ergebung dreier Freier im Harzgau an das Kloster Korvey, ut mererentur accipere benelicium et aedificia patris sui.

Urkb. Bd. IX. p. 210 (ao. 1257 V.): Ergebung der fratres de Barmestede an den Erzbischof von Bremen. Calenb. Urkb. III. (Loccum) Nr. 3 (ao. 1173): Ergebung des über Hameco de Merctorp an den Abt von Marienmünster bei der Feste Schwalenberg.
Codex diplomaticus Westfaliae ed. Ekhard, II. Nr. 405 (ao. 1179): Bischof Siegfried von Paderborn beurkundet: Wenn sie ohne Kinder sterben, erhalten die Söhne der Schwester des Poppo, die ebenfalls Ministerialen der Kirche geworden sind, die Güter zu Lehen. Weiter verpflichtet sich der Bischof, dem Poppo und seinen Erben alljährlich aus der bischöflichen Kammer eine halbe Mark oder Einkünfte in dieser Höhe zu geben. Wenn einer seiner Nachfolger die Zahlung dieser Rente oder deren Wert in Einkünften verweigern würde, so soll der ganze Vertrag hinfällig werden.

16) Die Nachweise für das Folgende ergeben sich teils aus den allgemein anerkannten Ausführungen von Zallingers in dessen Schöffenbarfreien, teils aus den speziellen Belegen für die Altfreiheit der hildesheimischen Ministerialengeschlechter.

17) Vgl. v. Fürth, Die Ministerialen, Cöln 1836, p. 293 ff., besonders p. 308; v. Zallinger, Die Schöffenbarfreien des Sachsenspiegels, Innsbruck 1887, p. 269 Anm. 2. Vgl. Sächsisches Landrecht III. Art. 73 § 2 (Homeyki;, Sachsenspiegel 3, Ausgabe, Berlin 1861, p. 369). Nach dem Reichsweistum von 1208 sind die Kinder aus Ehen der Ministerialen der Kirchen mit freien Frauen Ministerialen des Herrn des Vaters, vgl. Origines Guelficae III. p. 789 Nr. 295 (ao. 1208).

17 a) Vgl. Hüdesh. Urkb. II. Nr. 452 (ao. 1236 V. 3): Die Gattin des Freien Steppe von Mahner ist die hildesheimische Ministerialin Eilika von Adenstedt, daher sind die Kinder bischöfliche Ministerialen.

19a) Familie von Lengede. Es gibt zwei Lengede, eines im Amt Feine und ein Dorf Lengende im Kreis Goslar. Nach dem letzteren heißen alle unter diesem Namen auftretenden Personen.
III. Nr. 159 (ao. 1267 VI. 21): Heinricus de Lenghede, Ministerial des Herzogs von Braunschweig, resigniert Güter zu L. zu Gunsten des Klosters Wöltingerode.

Die Ministerialenfamilie von Lengede führt ihren Namen nach dem L. bei Goslar. Hier ist sie auch begütert, und bei Verhandlungen über Güter in dieser Gegend wird sie erwähnt. Die Freienfamilie von Lengede tritt mit einer Ausnahme ebenfalls nur in dieser Gegend auf. Der Name Heinrich findet sich in beiden Familien, ebenso wahrscheinlich der Name Luderus. Die Nachkommen der Freienfamilie, zu denen sicher Hermann und Burchard gehören, sind in der Mitte des 13. Jahrhunderts ebenfalls in der bischöflichen Dienstmannschaft. Daraus ergibt sich, dass sie sämtlich einer Familie angehören, deren einzelne Mitglieder zu gleicher Zeit teils frei waren, teils in der herzoglichen, teils in der bischöflichen Dienstmannschaft standen.

010. Gerichtszene

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011. Bauern bei der Arbeit

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012. Bauerfamilie zum Markt ziehend

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005. Wundarzt

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004. Glockengießer

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003. Steinmetzen

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009. Dom-Inneres

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008. Prozession vor dem Dom

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001. Goldschmiedewerkstatt

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